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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit
Autoren: Roberto Zapperi
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mich war angesichts der geringen Begeisterung der italienischen Soldaten für solche Tugenden. Die berühmten acht Millionen Bajonette, mit denen sich der Duce brüstete, konnten seine Erwartungen schwerlich erfüllen, und die großspurigen militärischen Parolen, mit denen er oft den Mund voll nahm, verführten niemand. Hier als Beispiel zwei von ihnen: «Das Blitzen eurer Dolche und das Geräusch eurer krachenden Bomben wird die Elenden vernichten, die den Marsch des größeren Italiens aufhalten wollen. Italien gehört euch!» oder aber: «Worte sind eine wunderschöne Sache, doch Karabiner, Maschinengewehre, Schiffe, Flugzeuge und Kanonen sind noch schöner.» Kurz gesagt, die lasche Disziplin der italienischen Soldaten eröffnete sich mir schon, wenn ich von meinem Balkon aus ihre Ehrenbezeigungen für die Gefallenen drüben vor dem Krankenhaus beobachtete. Auf die Befehle des Offiziers pflegten sie mit einem ungenauen und konfusen Getrappel ihrer schlecht sitzenden Stiefel zu reagieren. Doch das, was mir heute als Zeichen einer lobenswerten Insensibilität gegenüber der faschistischen Kriegspropaganda erscheint, hatte in Wirklichkeit andere Gründe. Hinter diesen meinen Vorstellungen stand eine kindliche Welt, die ihre Nahrung aus Büchern und Spielen bezog. Die Lektüre von Abenteuerheftchen und Kinderbüchern ließ mich aufbegehren gegen den Konformismus der Erwachsenen und ihre bequeme Gewöhnung an ein ruhigesLeben. In meinen Spielen war der Krieg natürlich nur ein großes Abenteuer, ohne Opfer und Leiden, aber voller Helden, die über ihre Feinde triumphierten.
    In diesem Zusammenhang kommt mir ein Ort nahe unserem Haus wieder in den Sinn. Nicht weit entfernt gab es einen hohen Felsen aus pechschwarzem Lavagestein, die Hinterlassenschaft eines Vulkanausbruchs vor undenklichen Zeiten. Er ragte isoliert zwischen den Häusern in die Höhe und war ein ideales Terrain für die Kriegsspiele, die wir Kinder aus der Nachbarschaft dort veranstalteten. Bewaffnet mit Stöcken, die Gewehre vorstellen sollten, errichteten wir Schanzen in den Furchen der Lava, die wir je nachdem eroberten oder verteidigten, wobei ein lautes Bumbum aus unseren Mündern die Schüsse imitierten. Einer von uns kommandierte, und diesem mussten die anderen displiziniert gehorchen, das gehörte zu den Regeln des Spiels. Es war nicht so wichtig, wem das Kommando zufiel, wichtig war nur, dass die anderen damit einverstanden waren, seine Befehle zu befolgen. Ich versuchte immer, zum Kommandanten gewählt zu werden, was natürlich nicht immer gelang, doch wenn die Wahl auf mich fiel, war ich sehr stolz und zufrieden. Dieser kindliche Traum von Heldentum verflüchtigte sich bald im wirklichen Krieg, als die schweren amerikanischen Bombenangriffe einsetzten.
    Die Notabeln bildeten in Catania die sogenannte bürgerliche Schicht. Mein Vater lebte an deren Rändern, doch gelang es ihm nie, in diese Schicht aufzusteigen. Er schlug sich als Kaufmann durchs Leben, ohne je eine gesellschaftliche Stellung zu erringen, die ihm etwas mehr Respekt und Ansehen garantiert hätte. Im Gegenteil, er geriet zuweilen in eine solch schwierige Lage, dass er auch die grundlegendenLebensbedürfnisse nicht mehr befriedigen konnte. Einmal geschah es sogar, dass er Schulden machen musste, um die Familie zu ernähren. Zu Hause wurde später erzählt, dass er monatelang Lebensmittel anschreiben lassen musste, um zu überleben, wobei es so weit kam, dass er auf dem Stadtplan alle Straßen des Viertels ankreuzte, in denen er sich nicht mehr blicken lassen durfte, weil dort die Geschäfte seiner Gläubiger lagen. Zum Schluss konnte er nur noch eine einzige Straße passieren, ohne dass gleich der Besitzer aus dem Laden getreten wäre, um seinen Kredit einzufordern. Aus dieser Situation von extremer Bedürftigkeit arbeitete mein Vater sich wieder heraus, aber es blieb ihm ein Gefühl von Frustration, ein tiefsitzender Hass auf die Notabeln der Stadt und ein ebenso starker Wunsch, bei der ersten Gelegenheit aus Sizilien zu fliehen, um anderswo mehr Erfolg zu suchen. Während mein Vater sich wenigstens die Grundlagen der Bildung angeeignet hatte, war die Familie meiner Mutter wegen ihres geringen Bildungsgrads noch weiter von dieser bürgerlichen Schicht entfernt, obgleich sie wohlhabender war. Auch sie lebte vom Handel. Ihre Mitglieder konnten zwar lesen und schreiben, aber ihre familiären Verbindungen zu den Volksschichten waren immer noch stark.
    In der Nebenstraße, an der
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