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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit
Autoren: Roberto Zapperi
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diesem Stiefbruder, und ich begleitete sie gerne, wenn sie zu ihm fuhr, denn sein Geschäft stellte eine große Attraktion für mich dar. Mir gefiel die Szene der feilgebotenen Waren, vor allem aber das Johannisbrot und die Lakritze, von denen der Onkel mir jedes Mal etwas schenkte. Meine Mutter bekam dagegen getrocknete Kastanien, die wir dann gekocht zu Hause aßen. Ich liebte es auch, die Hände in die vollen Säcke zu stecken, die Körner in die Hand zu nehmen und sie dann langsam durch meine Finger rieseln zu lassen. Jedesmal war der Besuch beim Onkel ein großes Vergnügen für mich, und meine Mutter hatte ihre Mühe, mich wieder zum Fortgehen zu bewegen.
    Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, muss ich, bevor ich fortfahre, klarstellen, dass meine kindliche Bewunderung für die deutschen, damals mit den Italienern verbündeten Soldaten keinerlei politische oder ideologische Beweggründe hatte, auch wenn ich trotz meines jungen Alters durchaus schon politische Vorstellungen hatte. Um die Jahrhundertwende und in den zwei ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hatte in Catania eine reformsozialistische Bewegung Fuß gefasst, in deren Mittelpunkt der Bürgermeister von Catania, Giuseppe De Felice Giuffrida, stand, der während vieler Legislaturen auch Parlamentsabgeordneter in Rom war. Er stammte aus einfachen Verhältnissen und war eine starke Persönlichkeit, so dass besonders in den unteren Volksschichten Catanias sein politisches Erbe lebendig blieb. Mein Vater, der ebenfalls aus einfachen Verhältnissen kam, hatte trotz seiner mäßigen Schulbildung sogar eine gewisse politische Aktivität im Ortsverband der Sozialistischen Partei entwickelt. Deshalb hegte er auch nie Sympathien für den Faschismus und sprach sich im Gegenteil zu Hause immer klar dagegen aus. Weder er noch wir, seine drei Söhne, nahmen je an den Aufmärschen teil, die so oft organisiert wurden, und er ließ uns auch nie eine Uniform anziehen. Ich wurde zwar, als ich sieben Jahre alt wurde und die erste Klasse der öffentlichen Schule besuchte, in die faschistische Jugendorganisation aufgenommen, wie sich der ersten Seite meines ersten Zeugnisses entnehmen lässt. Schon die hohe Mitgliederzahl (20.773) zeigt an, dass alle Schulkinder automatisch Miglieder der Organisation wurden. Rechts oben auf dem ersten Blatt ist das Datum zu lesen, «Jahr XVII der faschistischen Ära», also 1939, siebzehn Jahre, nachdem der Faschismus 1922 mit dem Marsch aufRom in Italien die Herrschaft angetreten hatte. Darunter in der Mitte die faschistischen Embleme, das Rutenbündel mit dem Schild und dem römischen Kurzschwert, überhöht vom Buchstaben M, der für Mussolini steht, erhob doch der Faschismus den Anspruch, die Weltherrschaft des alten Roms wiederherstellen zu wollen. Im Sinne dieser faschistischen Rhetorik erhielten einige sizilianische Ortschaften, wie auch einige andere in Italien, einen neuen Namen, um ihre römischen Wurzeln zu betonen: So wurde zum Beispiel aus Girgenti Agrigent, aus Castrogiovanni Enna und aus Monte San Giuliano Erice. Unten rechts auf dem Zeugnis ist auch der Name der faschistischen Jugendorganisation zu lesen: «Gioventù Italiana del Littorio». Trotz meiner formellen Mitgliedschaft konnte mein Vater es immer vermeiden, mich als «Balilla» zu kostümieren, obwohl alle Jungen meines Alters diese Uniform gelegentlich tragen mussten. Der Name «Balilla», wie die jungen Mitglieder der «Gioventù» genannt wurden, war die Erfindung eines der vielen Historiker, die sich dem Faschismus verschrieben hatten (darunter gab es auch so bedeutende wie den Mediävisten Gioacchino Volpe). Balilla hieß nämlich ein legendärer Genueser Rebell des 18. Jahrhunderts, der einen Aufstand gegen die österreichische Herrschaft angeführt hatte. Die Faschisten erhoben ihn zum Symbol der neuen italienischen Jugend, die bereit sein sollte, gegen alle Feinde des Regimes und die fremden Eroberer zu kämpfen. Deshalb hatten sie auch die Schulkinder in diese lächerliche paramilitärische Organisation eingebunden und ihnen eine Uniform samt Gewehr verpasst, mit denen sie dann und wann zu Übungen antreten mussten. Das blieb mir zum Glück erspart, wenn auch gesagt werden muss, dass es ziemlich leicht war, sich einersolchen Pflicht zu entziehen. Die Laschheit und geringe Effizienz der öffentlichen Gewalten, besonders in Süditalien, machten dies ohne größeres Risiko möglich.
    Schulzeugnis
    Einen großen Einfluss hatte auf mich in jenen
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