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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit
Autoren: Roberto Zapperi
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die Längsseite unseres Hauses lag, wohnte ganz in der Nähe im Erdgeschoss eines kleinen, niedrigen Hauses ein Mädchen,das eine Liebschaft mit einem deutschen Soldaten hatte. Die Familie war sehr einfach, und ich konnte mir nicht erklären, wie es den Deutschen kennengelernt hatte. Der Soldat kam oft ins Haus. Er war von der Familie gut aufgenommen worden und galt, wie man damals sagte, als der offizielle Verlobte. So verbrachte er ganze Nachmittage und lange Abende bei dem Mädchen, doch stets im Beisein eines Familienmitglieds, wie es die strengen Sitten in Sizilien forderten. Eines Tages hörte ich, wie aus dem Hause grelle Schreie und ein ungezügeltes Schluchzen kamen, und kurz darauf wurde bekannt, dass der deutsche Soldat woandershin verlegt worden war. Er löste das Verlöbnis und verschwand auf immer. Die deutschen Soldaten bezeichneten sich in Italien als «camerati» (Kameraden) der Italiener. Diese Anrede mussten auf staatliche Anordnung auch alle Italiener bei der Begrüßung benutzen und dabei den Arm zum faschistischen Gruß «Viva il Duce» heben. Auch das «Sie» hatte Mussolini abgeschafft und es mit dem altertümlichen «Ihr» ersetzt. Die Vorstellung, dass ein deutscher «Kamerad» sich mit einer ihrer Töchter verlobte, war den Cataniern sehr angenehm. Vor allem mir schien es eine tolle Sache, und meine Enttäuschung war sehr groß, als sich der Deutsche unter den Schreien und Tränen des Mädchens und seiner Familie davonmachte.
    Als ich einmal ins Stadtzentrum hinunterschlenderte, sah ich einen kleinen Menschenauflauf. Die Leute standen eng um eine deutsche Militärkapelle herum, die ein Gratiskonzert auf der Straße gab. Ich drängelte mich gleich nach vorn, um dem Schauspiel aus erster Reihe zuzusehen. Großen Eindruck machten mir die ausladenden Bewegungen des Kapellmeisters, die Art, wie er mit seinem mit weißen Bändern verzierten, langen Stab den Takt schlug. Nach jedem Stück wurde eine kleine Pause eingelegt, worauf nach einem knappen Einsatzzeichen des Dirigenten, gefolgt von einem Ruck und dem Hackenschlagen der soldatischen Musiker, ein neues Stück an die Reihe kam. Das Geräusch der genagelten Stiefel gefiel mir dabei besonders.
    In jenen Jahren kamen ab und zu einzelne britische Bomber vom nahen Stützpunkt Malta her angeflogen. Sie brummten nachts herum und suchten die Villa des deutschen Kommandos, ohne sie je zu finden. Die Briten hatten offenbar gute Spione, die sie über die Lage der Villa informiert hatten, aber aus der Höhe und im Dunkel der Nacht war das Ziel schlecht zu erkennen. Die Flugzeuge warfen ein paar Bomben ab, welche die Zivilbevölkerung, soweit bekannt wurde, jedoch nie trafen. Wir gewöhnten uns schnell an diese nächtlichen Angriffe aus der Luft. Wenn die Sirenen heulten, eilten wir Kinder, klein und groß, die Treppe herunter, um uns im großen Hauseingang zu versammeln, als ob er ein richtiger Luftschutzbunker gewesen wäre. Wahrscheinlich hätte er uns wenig geschützt, wenn eine Bombe das Haus getroffen hätte, sicher wären wir dann alle unter den Trümmern begraben worden. Zum Glück geschah das nie, denn die Engländer gingen sehr sparsam mit ihren Bomben um. Wenn der Alarm aufhörte, kehrten wir alle wieder ruhig in unsere Betten zurück.
    Im März 1943 ließen sich zum ersten Mal die Amerikaner blicken, die in Nordafrika Fuß gefasst hatten und mit ihren britischen Verbündeten zur Landung in Sizilien rüsteten. Ganze Geschwader von «Fliegenden Festungen», wie sie genannt wurden, näherten sich und suchten ebenfalls und ebenso vergeblich die Villa des deutschen Kommandos. Im Gegensatz zu den Briten warfen sie jedoch Tonnen von Bomben ab, ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Ihr erster Bombenangriff machte enormen Eindruck. Es war ein sonniger Nachmittag, als an einem Punkt des strahlenden, wolkenlosen Himmels, wie man mit bloßem Auge erkennen konnte, die silbernen Umrisse der in einer Reiheheranfliegenden Bomber aufblitzten. Sie näherten sich langsam wie Raubvögel, warfen eine Menge Bomben ab und drehten dann wieder um. Einige Minuten lang entlud sich über der Stadt ein Gewitter von Donner und Geheul. Gleich danach rannten die Menschen auf die Straße, um zu sehen, was passiert war. Auch ich lief mit meinen Brüdern aus dem Haus. Wir folgten dem Strom der Menschen, die voller Schrecken zum Ort stürzten, von dem ein großer Knall hergekommen war. In einiger Entfernung von uns war ein ganzes Wohnhaus eingestürzt, die Trümmer
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