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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel
Autoren: Terry Pratchett
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wissen, dass er sich keine Lüge ausgedacht hatte.
    Doch wo war… zu Hause? Die Insel der Jungen konnte er nicht mehr sehen. Er konnte nicht einmal den Himmel sehen. Es gab überhaupt keine Inseln mehr! Aber auf der einen Seite war der Horizont heller als auf der anderen. Irgendwo dort ging die Sonne unter. Am Abend zuvor hatte er beobachtet, wie die Sonne über der Nation untergegangen war. Demnach musste das die richtige Richtung sein. Er machte sich mit stetigen Paddelschlägen auf den Weg und ließ den blass leuchtenden Horizont nicht aus den Augen.
    Überall waren Vögel, die auf allem hockten, was im Wasser trieb. Hauptsächlich waren es kleine Finken, die aufgeregt schimpften, wenn das Kanu vorbeiglitt. Manche flatterten hoch und wagten es, sich auf das Kanu zu setzen, wo sie sich aneinanderkauerten und ihn mit verzweifelter, ängstlicher Hoffnung beäugten. Ein Fink landete sogar auf Maus Kopf.
    Während er versuchte, ihn aus seinem Haar zu befreien, hörte Mau ein dumpfes Geräusch, als etwas viel Schwereres auf dem Heck des Kanus landete. Die Finken flogen erschrocken auf, doch schon kurz darauf ließen sie sich wieder nieder, weil sie zu erschöpft waren, nach einem ungefährlicheren Plätzchen zu suchen. Trotzdem hielten sie größtmöglichen Abstand zu dem neuen Passagier, denn dieser war nicht sehr wählerisch im Hinblick auf seine Ernährung.
    Es war ein beachtlicher Vogel mit glänzenden, blauschwarzen Federn und weißer Brust und winzigen weißen Federn an den Beinen. Doch sein riesiger Schnabel war leuchtend rot und gelb gefärbt.
    Es war ein Großvatervogel, und er brachte Glück – zumindest den Menschen. Auch wenn Mau seinetwegen langsamer vorankam und der Vogel einen seiner Fische fraß. Großvatervögel hatten gelernt, dass sie keine Angst vor Menschen haben mussten. Es brachte schon Unglück, einen nur zu verscheuchen. Mau spürte die Blicke seiner Knopfaugen im Nacken, während er weiterpaddelte. Hoffentlich brachte ihm der Vogel Glück. Das konnte er gebrauchen, wenn er nicht erst um Mitternacht zu Hause sein wollte.
    Es gab ein lautes »Ärk!«, als der Großvatervogel mit einem weiteren von Maus gekochten Fischen im Schnabel davonflog und das Kanu für einen Moment heftig schwanken ließ. Wenigstens war es jetzt wieder leichter, dachte Mau. Und die vielen Fische brauchte er eigentlich sowieso nicht, weil er sich an diesem Abend den Bauch mit Schweinefleisch vollschlagen würde.
    Der Vogel landete ein Stück voraus auf einem recht großen Baumstamm. Als er näher kam, erkannte Mau, dass es sogar ein kompletter Baum mitsamt Wurzeln war, der allerdings viele Äste verloren hatte.
    Dann sah er im Gestrüpp die Axt, die sich langsam aus dem Wasser hob. Doch er hatte schon vorher geahnt, dass er sie sehen würde. Der Anblick stürmte auf seine Augen ein und wurde einen Moment lang zum Mittelpunkt der ganzen Welt, die sich darum drehte.
    Der Großvatervogel hatte so lange mit dem Fisch jongliert, bis er ihn in einem Stück hinunterschlucken konnte. Danach breitete er auf seine seltsame Art – als würde er sich fragen, ob sich das Ganze überhaupt lohnte – die großen Flügel aus und entfernte sich mit langsamen Schlägen, wobei die Spitzen fast die Wasseroberfläche berührten.
    Als der Baumstamm vom zusätzlichen Gewicht befreit war, rollte er wieder zurück. Aber Mau war bereits im Wasser und bekam den Griff der Axt zu fassen. Er hielt die Luft an, stemmte die Beine gegen den Stamm und zog. Wie schlau von ihm, dass er vor ungefähr hundert Jahren die Axt mit aller Kraft ins Holz geschlagen hatte, nur um dem nächsten Jungen zu zeigen, was für ein starker Mann er doch war…
    Eigentlich hätte es klappen sollen. Er strengte sich so sehr an, dass sich die Axt hätte lösen müssen. So wäre es in einer vollkommenen Welt geschehen. Aber das Holz hatte sich vollgesogen und ließ die Klinge nicht mehr los.
    Mau tauchte noch dreimal unter, und jedes Mal, wenn er wieder hochkam, spuckte und hustete er Salzwasser aus. In ihm stieg eine tiefsitzende Wut hoch, weil das so einfach nicht richtig war. Die Axt hatten ihm die Götter geschickt, dessen war er sich ganz sicher. Sie hatten sie ihm geschickt, weil er sie brauchen würde, das wusste er genau. Und trotzdem hatte er es nicht geschafft.
    Schließlich schwamm Mau zum Kanu zurück und paddelte dem Großvatervogel hinterher, bevor er außer Sichtweite war.
    Diese Tiere flogen abends immer zum Land zurück. Und für ihn bestand kein Zweifel,
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