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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel
Autoren: Terry Pratchett
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schaffte, sie herauszuziehen, hat es verdient, als Mann bezeichnet zu werden.
    »Männer helfen anderen Männern!«, rief er, als sich die Steinklinge in die Rinde grub.
    Er wollte zwar einen wirkungsvollen Hieb landen. Doch die Wirkung war mächtiger, als er erwartet hatte. Aus jedem Winkel der kleinen Insel stiegen plötzlich Vögel in den Himmel auf.
    Finken, Watvögel und Enten erhoben sich aus den Büschen und erfüllten die Luft mit Panik und Federn. Die größeren flogen aufs Meer hinaus, aber die meisten flatterten nur im Kreis herum, als hätten sie panische Angst zu bleiben, wussten aber auch nicht, wohin sie fliehen sollten.
    Mau lief einfach durch die Vogelschwärme hindurch, als er zum Strand ging. Helle Flügel sausten wie Hagel an seinem Gesicht vorbei, und es wäre wirklich ein ehrfurchtgebietendes Schauspiel gewesen, wenn nicht jeder einzelne Vogel die Gelegenheit genutzt hätte, sich zu erleichtern. Nun, wer es eilig hatte, sollte vermutlich kein überflüssiges Gewicht mit sich herumtragen.
    Irgendetwas stimmte nicht. Mau spürte es in der Luft, an der plötzlichen Ruhe. Die Welt fühlte sich auf einmal an, als würde sie von etwas Schwerem niedergedrückt werden.
    Dann stürzte sie auf Mau und warf ihn in den Sand. Sein Kopf schien platzen zu wollen. Es war schlimmer als damals beim Steinspiel, als er zu lange gezögert hatte. Dieses Etwas drückte wie ein schwerer, grauer Fels auf die Welt.
    Der Schmerz verschwand genauso schnell, wie er gekommen war, und Mau lag keuchend und benommen am Strand. Noch immer war der Himmel voller Vögel.
    Als er mühsam wieder auf die Beine kam, wusste er nur, dass es nicht gut wäre, noch länger an diesem Ort zu bleiben. Auch wenn ihm ansonsten gar nichts klar war – das jedoch spürte Mau in jedem Fingernagel und jedem einzelnen Haar an seinem Körper.
    Donner rollte über den wolkenlosen Himmel, ein tiefer, heftiger Schlag, der vom Horizont kam. Mau taumelte zur kleinen Lagune hinunter, und das Dröhnen wurde lauter. Da war sein Kanu, das auf dem weißen Sandstrand auf ihn wartete. Doch das normalerweise stille Wasser war nun… unruhig. Es tanzte wie bei schwerem Regen, obwohl gar kein Regen fiel.
    Er musste weg von hier. Das Kanu glitt mühelos ins Wasser, und er paddelte hektisch auf die Lücke im Riff zu, die aufs offene Meer hinausführte. Unter ihm und um ihn herum taten die Fische dasselbe…
    Immer wieder donnerte es, wie etwas Festes, das in die Luft schlug und sie zerschmetterte. Es erfüllte den ganzen Himmel.
    Für Mau war es wie ein Hieb auf die Ohren. Er versuchte schneller zu paddeln, und dann fiel ihm ein, was sein Vater einmal zu ihm gesagt hatte: Tiere fliehen. Jungen fliehen. Aber ein Mann flieht nicht. Er blickt seinem Feind direkt in die Augen, damit er sehen kann, was er tut und wo dessen Schwächen liegen.
    Er ließ das Kanu aus der Lagune heraustreiben und arbeitete sich ohne große Schwierigkeiten durch die Dünung aufs Meer hinaus. Dann blickte er sich um – wie ein Mann.
    Der Horizont war eine einzige riesige Wolke, die kochend emporstieg, voller Feuer und Blitze, und sie grollte wie ein wütendes Ungeheuer.
    Eine Welle krachte gegen die Korallen. Mau kannte das Meer, und auch damit war etwas nicht in Ordnung. Die Insel der Jungen fiel hinter ihm zurück, weil eine kräftige Strömung ihn zu dieser gewaltigen Sturmwand zog. Es schien, als würde der Horizont das Meer austrinken.
    Männer blickten ihrem Feind in die Augen. Das war richtig, aber manchmal drehten sie auch einfach wieder um und paddelten um ihr Leben.
    Doch es nützte nichts. Das Meer geriet in Bewegung, und dann tanzte es wieder, wie schon in der Lagune. Mau bemühte sich, klar zu denken, und versuchte, das Kanu wieder in seine Gewalt zu bekommen.
    Er würde heimkehren. Natürlich würde er das! Er sah das Bild seiner Rückkehr klar und deutlich vor seinem inneren Auge. Er betrachtete es von allen Seiten und genoss den angenehmen Geschmack.
    Alle würden da sein. Alle. Ohne Ausnahme. Selbst die alten, kranken Männer würden lieber auf einer Matte am Strand sterben, als nicht dabei zu sein. Die Frauen würden lieber dort niederkommen, wenn es nicht anders ging, um nach dem heimkehrenden Kanu Ausschau zu halten. Es war undenkbar, die Ankunft eines neuen Mannes zu verpassen, weil so etwas schreckliches Unglück über die ganze Nation gebracht hätte.
    Sein Vater würde ihn vom Rand des Riffs aus beobachten, dann würden sie das Kanu auf den Strand ziehen, und seine
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