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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel
Autoren: Terry Pratchett
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jedenfalls nicht richtig. Die Jungen sagten, es wäre besser zu ertrinken, als eingefangen zu werden.
    Jeder wusste, dass man wahrscheinlich nie eine Frau bekam, wenn man versagte, und wenn man doch eine bekam, dann wäre es eine von denen, die kein richtiger Mann haben wollte, eine mit schlechten Zähnen und stinkendem Atem.
    Mau hatte wochenlang wachgelegen und sich deswegen den Kopf zerbrochen. Man durfte nur sein Messer mit auf die Insel nehmen, und er bekam Albträume bei der Vorstellung, in nur dreißig Tagen ein Kanu zu bauen – mit nur einem Messer. Das war nicht zu schaffen. Aber alle Männer der Nation hatten es geschafft, also musste es ja einen Weg geben.
    Und bereits am zweiten Tag auf der Insel der Jungen entdeckte er diesen Weg.
    Im Mittelpunkt der Insel gab es einen Gottesanker, einen Steinwürfel, der halb im Boden steckte. Er war von dicken Lianen überwuchert und teilweise in einen großen Tabagobaum eingewachsen. Zeichen der Kindersprache waren tief in die trockene Rinde eingeritzt: MÄNNER HELFEN ANDEREN MÄNNERN. Gleich daneben steckte ein
alaki
im Holz, ein gekrümmter schwarzer Stein mit langem Griff. Wenn man ihn so herum hielt, war er eine Axt.
    Hielt man ihn andersherum, war er ein Dechsel, mit dem sich wunderbar ein Baumstamm aushöhlen ließ.
    Er zog die Axt aus dem Baum und lernte seine Lektion.
    Viele andere Jungen hatten das Gleiche getan. Eines Abends kletterte Mau auf den Baum und fand hunderte von Zeichen, die Generationen dankbarer Jungen in den Stamm geritzt hatten. Und alle hatten die Axt für jene zurückgelassen, die nach ihnen kamen. Einige von ihnen müssten jetzt zu Hause bei den Großvätern sein, die in der Höhle auf dem Berg wohnten.
    Zweifellos beobachteten sie ihn jetzt, mit Augen, die meilenweit sehen konnten, und vielleicht beobachteten sie ihn auch, als er den Baumstamm fand, gut abgelagert und nicht allzu gründlich versteckt unter den Schraubenbäumen auf der Rückseite der kleinen Insel. Wenn Mau heimkehrte, würde er erzählen, wie er ihn gefunden hatte, und alle würden sagen, dass er Glück gehabt hatte, dass vielleicht die Götter den Baumstamm dort hingelegt hatten. Als er genauer darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass eines Morgens sein Vater und ein paar seiner Onkel zum Fischen in die Nähe der Insel gefahren waren, ohne ihn zu fragen, ob er mitkommen wollte…
    Die Zeit auf der Insel war gut gewesen. Er wusste, wie man Feuer machte, und er hatte die kleine Süßwasserquelle gefunden. Er hatte sich einen brauchbaren Speer geschnitzt, um damit in der Lagune Fische zu fangen. Und er hatte sich ein anständiges Kanu gebaut, stabil und leicht, mit einem Ausleger. Eigentlich brauchte man nur etwas, womit man nach Hause kam, aber dieses Kanu hatte er mit Messer und Rochenhaut bearbeitet, damit es flüsternd über das Wasser glitt.
    An seinem letzten Tag als Junge ließ er sich Zeit. Sein Vater hatte ihm diesen Rat gegeben. Räum das Lager auf, hatte er gesagt. Bald wirst du Frau und Kinder haben. Das ist gut so. Aber manchmal wirst du dich liebevoll an deinen letzten Tag als Junge erinnern. Sorg dafür, dass es eine schöne Erinnerung wird, und sei rechtzeitig zum Festmahl wieder zu Hause.
    Das Lager war so sauber, als wäre er niemals da gewesen.
    Jetzt stand er zum letzten Mal vor dem uralten Tabagobaum.
    Er hielt die Axt in der Hand und war sich ganz sicher, dass die Großväter ihm über die Schulter blickten.
    Alles lief bestens. In der vergangenen Nacht hatten die Sterne der Luft, des Feuers und des Wassers gemeinsam am Himmel gestanden. Das war ein gutes Zeichen für einen Neuanfang.
    Er suchte eine glatte Stelle in der weichen Rinde und hob die Axt. Einen Moment lang fiel sein Blick auf die kleine, blaue Perle, die er an einer Schnur um sein Handgelenk trug. Sie würde ihn während der Heimreise schützen. Sein Vater hatte ihm gesagt, wie stolz er sich auf dem Heimweg fühlen würde. Aber er musste vorsichtig sein, um nicht die Aufmerksamkeit der Götter oder Geister auf sich zu lenken. Es war nicht gut, zwischen zwei Seelen zu leben. Er wäre dann wie
mihei gawi
, der kleine, blaue Einsiedlerkrebs, der einmal pro Jahr von einem Schneckenhaus in ein neues umzog, wobei er zur leichten Beute für jeden Tintenfisch wurde.
    Das war kein schöner Gedanke. Aber er hatte ein gutes Kanu, und die See war ruhig. Und er würde auf jeden Fall kräftig paddeln! Er holte mit der Axt weit aus und schwang sie, so fest er konnte. Ha! Der nächste Junge, der es
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