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Eine Hexe in Nevermore

Eine Hexe in Nevermore

Titel: Eine Hexe in Nevermore
Autoren: Michele Bardsley
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Sie war ein Teil von ihm, ein Geist innerhalb seines Geistes.
    Weitere von mir Auserwählte werden nach Nevermore kommen. Du musst sie willkommen heißen. Du musst dich auf das vorbereiten, was kommen wird.
    »Was wird kommen?«
    Keine Sorge. Du wirst bereit sein. Nimm deine zweite Gestalt an, Gray. Behaupte deine Macht.
    Die Welt löste sich aus ihrer Erstarrung.
    Die Flammen kehrten zurück, doch jetzt verstand Gray. Er war Herr über jedes Feuer, ob echte oder magische Flammen. Geht weg, befahl er ihnen, und sofort verwandelten sie sich in Rauch. Er hörte Bernards ungläubigen Schrei, der eher an das Quieken eines verängstigten Kätzchens erinnerte. Ja, Gray war der Herr des Feuers, und er war auch der Herr über die Bestie, die in ihm wohnte. Komm heraus, Drache, befahl er.
    Lucinda war ohnmächtig geworden. Behutsam legte er sie hin.
    Dann erhob er sich.
    Seine zweite Gestalt wurde nach und nach offenbar.
    Eben noch rannte Bernard auf ihn zu, jetzt aber blieb er stehen. In seinen Augen konnte Gray Wut und Furcht und Erschrecken lesen. »Das ist unmöglich!«
    Grays Narbe pulsierte, sie war Licht. Seine Haut verwandelte sich in glänzende rote Schuppen. In einem Regen aus goldenen und roten Funken verwandelte sich der Mensch in einen Drachen.
    Die Kreatur wuchs, wurde immer größer und größer und füllte bald die gesamte Scheune aus. Der massige Kopf des Drachen durchbrach die Holzbalken der Decke. Wie ärgerlich. Er hob einen Flügel, um sich zu schützen, dann reckte er die Schnauze zur Decke und schnaubte einen Feuerball aus. Sofort verwandelte sich das Dach in Asche und rieselte zu Boden.
    Bernard Franco schrie. Er taumelte nach hinten, blieb stehen, verkroch sich in der Dunkelheit. Sein Gesicht spiegelte den Schock wider, seine Augen waren weit aufgerissen, und seine Lippen umrahmten den geöffneten Mund wie die eines frisch gefangenen Fisches.
    Widerlich.
    »Du wolltest Lucinda umbringen«, donnerte der Drache.
    »Nein. Nein.«
    »Du wagst es, mich anzulügen?«
    Der Mann drehte sich um und rannte weg, doch er stolperte über Unrat und fiel hin. Er winselte und weinte. Der Drache schnüffelte und schnaubte. Jetzt hatte das hässliche kleine Ding ihn auch noch beschmutzt. Er kroch durch den Dreck und das Heu auf dem Boden und schluchzte wie ein im Stich gelassener Welpe.
    Der Drache spuckte Feuer. Flammen züngelten an den Füßen des Mannes, ließen seine Schuhe schmelzen und flämmten seine Hose an.
    Die Schmerzen zwangen Franco zu Boden. Er schrie auf und warf sich hin und her. Der Drache könnte ihn braten, aber dieses nichtsnutzige Ungeheuer war sein Feuer nicht wert. Sollte er ihn fressen? Jemand, der so übel stank, würde ihm sicher Verdauungsprobleme bereiten. Damit blieb nur eine Möglichkeit übrig.
    »Weißt du nicht, was Lucinda ist?« Der Drache beugte sich nach unten, rollte den Mann mit einer Klaue auf den Rücken und starrte ihn an. »Sie ist das Herz des Drachen.«
    Und damit erhob er sich wieder zu seiner vollen Größe. Sein Kopf ragte aus dem Loch im Dach, und dann zertrat er die jämmerliche Kreatur. Das Zerbersten der Knochen und das Reißen der Sehnen klang wie Musik in den Ohren des Drachen.
    Der Drache sah auf in den Himmel und spürte den sirenenhaften Ruf des Windes. Sein Wesen war mit dem eines Menschen vereint, also mussten das Spiel in den Wolken und das Küssen des Himmels mit seinem Feuer warten. Sie hatten noch zu tun.
    Darum schloss der Drache die Augen und kehrte zurück in den altehrwürdigen Zauber, der ihn mit Gray verband, und ließ seinen Meister frei.
     
    Gray erwachte in seinem eigenen Bett. Wenigstens dachte er, es wäre sein Bett. Jemand hatte die Laken gewechselt, und das Zimmer war aufgeräumt. Es roch nach Vanille- und Zitronenöl. Er betrachtete den leeren Platz neben sich, und Panik stieg in ihm auf. Ruckartig setzte er sich auf und riss die Decke weg. »Lucinda!«
    Die Tür zum Badezimmer ging auf, und Lucinda stand vor ihm. Sie trug eines seiner alten T-Shirts und schwenkte die Zahnbürste wie ein Schwert. »Was ist los?« Sie sah sich um. »Was ist denn?«
    Gray war so erleichtert, sie zu sehen, dass er aus dem Bett sprang und sie in die Arme nahm. Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. »Ich dachte, du hättest mich verlassen. Ich hatte Angst, ich hätte dich verloren.«
    »Du hast mich doch gerettet.« Ihre Stimme klang leise an sein Ohr.
    »Zuerst hast du mich gerettet.« Er holte Luft. »Was ist passiert?«
    »Du hast fast einen ganzen Tag
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