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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit
Autoren: William Boyd
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Behalten Sie sie auf.«
    Es war eine Brille aus durchsichtigem Fensterglas mit Drahtbügeln, die er sich von einem Theaterausstatter in der Drury Lane geborgt hatte. Während das Ballett seinen Lauf nahm, ging Lysander mit Vandenbrook noch einmal alle Punkte durch, damit der Hauptmann seinen Part richtig spielte. Er brauchte nicht einmal die Stimme zu senken, geschweige denn zu flüstern, weil überall im Zuschauerraum gesprochen wurde und ein ständiges Kommen und Gehen zwischen den Sitzreihen und den Getränkeständen drum herum herrschte. Lysander fielen im Publikum viele Soldaten und Matrosen in Uniform auf. Fast alle rauchten, und so bot er Vandenbrook eine Zigarette an, bevor er sich selbst eine anzündete. Auf das Ballett folgte ein Sketch.
    Als der Vorhang zur Pause fiel, rief ihnen der Conférencier in Erinnerung, dass die zweite Programmhälfte unter anderem von einem »gefeierten Star des West Ends« eröffnet werden würde, Mr Trelawny Melhuish, der sämtliche Monologe des Hamlet, Prinz von Dänemark, zum Besten geben wollte. Lysander und Vandenbrook standen auf und steuerten das Foyer an. Sein oder Nichtsein, dachte Lysander, das ist hier die Frage.
    »Hier trennen sich unsere Wege«, sagte er am Foyereingang zu Vandenbrook.
    Das Foyer war ein breiter, gewundener Gang mit niedriger Decke, von flackernden Gaswandleuchten kaum erhellt und proppenvoll mit Gästen, die gerade von draußen hereingekommen waren, und Zuschauern, die nun aus dem Saal strömten. Lysander bahnte sich einen Weg zur Hauptbar gegenüber dem Eingang. Ein paar Schritte davon entfernt stand ein stummes Trio in Zivil, wie von Lysander in den Telegrammen erbeten, die er im Vorfeld verschickt hatte: Munro, Fyfe-Miller und Massinger. Lysander warf einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Vandenbrook nicht in seiner Nähe war. Er konnte ihn im Gedränge nirgends entdecken. Sehr gut.
    Lysander machte einen Umweg und pirschte sich von hinten an die drei Offiziere an. Sie schienen sich inmitten dieser trinkfreudigen, rotgesichtigen, grölenden Menge nicht wohl zu fühlen. Umso besser, dachte Lysander.
    »Guten Abend, Gentlemen«, sagte er, als er plötzlich vor dem Trio auftauchte. »Danke, dass Sie gekommen sind.«
    »Was sollen wir hier, Rief? Was ist das für eine Schnurrpfeiferei?«, fauchte Massinger ihn an.
    »Ich musste ganz sichergehen, dass mir niemand folgt. In der Abteilung ist niemandem zu trauen«, erklärte Lysander.
    »Was ist eigentlich los?«, fragte Munro und ließ den Blick unruhig über die Menge schweifen. »Was haben Sie vor, Rief? Warum mussten Sie uns so eilig hier zusammentrommeln?«
    »Ich habe Andromeda gefunden.« Damit erreichte Lysander sogleich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
    »Ach ja?«, sagte Fyfe-Miller. Lysander fand die Skepsis unangemessen. Hinter Fyfe-Millers linker Schulter sah er Vandenbrook langsam näher kommen. Die Verkleidung war wirklich erstklassig – der Hauptmann glich einem schüchternen Buchhalter, der sich ausnahmsweise mal ins sündige Nachtleben stürzen möchte.
    »Ja«, bestätigte Lysander. Er musste das Spielchen noch ein wenig ausdehnen, um Vandenbrook möglichst viel Zeit zu geben. »Ziemlich hochgestellte Persönlichkeit.«
    »Osborne-Way ist es auf keinen Fall. Hören Sie auf, unsere Zeit zu vergeuden.«
    »Es ist sein Stellvertreter. Mansfield Keogh«, sagte Lysander.
    Die drei Männer wechselten einen Blick. Offensichtlich kannten sie Keogh.
    »Mansfield Keogh. Grundgütiger!«, rief Massinger.
    »Ja, Keogh«, wiederholte Lysander, während er aus einem Augenwinkel wahrnahm, dass Vandenbrook die kleine Gruppe umkreiste. »Es passt alles zusammen. Die Reisen nach Frankreich stimmen mit den anderen Daten überein. Er hatte als Einziger Zugang zu sämtlichen Informationen, die in den Glockner-Briefen preisgegeben wurden.«
    »Aber warum sollte er das tun?«, fragte Munro zweifelnd.
    »Warum sollte das überhaupt jemand tun?«, entgegnete Lysander und sah das Trio eindringlich an. »Für Landesverrat mag es drei Gründe geben – Rache, Geld«, er hielt kurz inne, »und Erpressung.«
    »Blanker Unsinn«, sagte Massinger. Munro und Fyfe-Miller schwiegen.
    »Überlegen Sie doch mal«, sagte Lysander.
    »Und was trifft auf Keogh zu?«, fragte Fyfe-Miller stirnrunzelnd.
    »Seine Frau ist erst vor kurzem gestorben, sie war noch sehr jung – vielleicht hat ihn das um den Verstand gebracht«, antwortete Lysander. »Letztendlich habe ich dafür keine Erklärung. Ich habe
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