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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas
Autoren: Horst Biernath
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noch mit dem Pferdegespann befahrbar. Und es war ein armes Dorf. Ursprünglich hatten die Englinger vom Walde gelebt und sich ihr Brot als Holzfäller und als Holzschnitzer von Löffeln und Schuhen verdient. Der Boden eignete sich nicht zur Landwirtschaft. Zu jedem Haus gehörten zwar ein oder zwei Tagwerk Grund, aber er trug kaum die Kartoffeln für den eigenen Bedarf und gerade noch das Futter für die Kuh im Stall. Später waren in der Umgebung die Glasfabriken entstanden, in denen jetzt die meisten Männer beschäftigt waren.
    Aber es war ein gemütliches Dorf. Jedenfalls hatte Werner diesen Eindruck von Engling im Wald. Es hatte sich seinen Charakter bewahrt. Im Mittelpunkt lag die Kirche mit einem schindelgedeckten Zwiebelturm. Daneben stand die Schule mit einem vielfach geflickten rotgrauen Biberschwanzdach. Und an der Straße, die sich mitten im Dorf scharf krümmte, lag ein gutes Dutzend Häuser, von denen das ansehnlichste dem Riedinger gehörte, der neben der Wirtschaft eine Krämerei betrieb und auch die Postagentur verwaltete. Hühner stoben vor dem Wagen über den Weg, und ein paar magere Gänse bequemten sich nur unter zischendem Protest dazu, vor dem Fahrzeug zur Seite zu weichen.
    Es war später Nachmittag, als sie in Engling einfuhren. Auf den Bänken vor den Häusern saßen die alten Leute und ließen sich von der milden Sonne die runzligen braunen Hände wärmen. Und Christine und auch Birgit grüßten und winkten nach rechts und nach links. Das letzte Haus nach der Kurve, in deren engem Bogen die Wirtschaft vom Riedinger lag — sie hieß einfach >Beim Riedinger < und hatte keinen Wirtshausnamen — gehörte Christines Eltern. Ihr Vater war gerade dabei, den Vorgartenzaun auszubessern, und im Garten band die Mutter die bereits grünenden Johannisbeerhochstämme an neue Pflöcke. Der Vater war ein magerer, grauhaariger Mann, schon ein wenig gebeugt, mit einem scharfen Gesicht, das von der Hitze des Glasofens eingefärbt und ausgedörrt zu sein schien. Die Mutter war rundlicher und immer noch eine hübsche Frau, obwohl sie sicherlich alles andere als ein leichtes Leben hatte. Die Ähnlichkeit mit Christine war unverkennbar.
    » Brandnermutter , wir sind da!« schrie Birgit. Sie war auf den Sitz gestiegen, hielt sich mit einer Hand an Werners Schulter fest und winkte mit der andern Christines Eltern entgegen.
    Also Brandner heißt sie... dachte Werner, eigentlich hätte ich mich nach ihrem Namen auch früher erkundigen können...
    Frau Brandner ließ die Hochstämme im Stich, und der Vater nahm den Nagel aus dem Mund, mit dem er die nächste Zaunlatte befestigen wollte. Werner bremste und hielt vor dem Haus.
    »Ja, grüß dich Gott, Birgit!« rief Christines Mutter, »daß du dich auch mal wieder sehen läßt. Ein gutes Jahr ist es jetzt her, daß du das letztemal hier warst. Und wie du inzwischen gewachsen bist!«
    Werner ließ die beiden aussteigen und die Begrüßung vorübergehen, ehe auch er aus dem Wagen kletterte. Christine stellte ihn ihren Eltern vor, er sei Birgits Onkel und der Bruder von Frau Dyrenhoff und aus Südamerika auf Besuch in Deutschland und er habe Birgit und sie hergefahren, weil er einmal den Wald sehen und auch sehen wollte, wie Gläser gemacht würden.
    »Da ist nichts dabei, Herr Gisevius«, sagte Christines Vater, »nur daß die Fabrik bis Dienstag still liegt. Es gibt Absatzschwierigkeiten...« Er bemühte sich, hochdeutsch zu sprechen, wie Christines Mutter auch.
    »Ich wollte ein paar Tage hier bleiben...«
    »In Lambach im >Schwanen<« ergänzte Christine.
    »Muß das sein?« fragte Werner, »von außen sieht es beim Riedinger doch recht ordentlich aus.«
    »Sein Bier ist gut, da gibt es nichts darüber zu sagen«, meinte der Brandnervater , »aber die Zimmer... mei ’, wie man’s halt gewohnt ist...«
    »Ich schaue es mir einmal an«, sagte Werner und öffnete den Kofferraum, um Christines und Birgits Gepäck auf den gefliesten Hausgang zu stellen. »Und wenn das Bier gut ist — gegen eine Halbe hätte ich nichts einzuwenden. Kommen Sie mit, Herr Brandner ?«
    »Geh schon, Vater«, sagte Christine, »Herrn Gisevius schmeckt es nicht, wenn er niemand hat, der zu ihm Prosit sagt.«
    »Alsdann...!« meinte der Vater und klopfte gegen die Tasche seiner ledernen Bundhose, um sich zu vergewissern, daß er die Geldbörse nicht vergessen habe.
    »Das lassen Sie bleiben, Herr Brandner — wenn ich Sie schon verführe, dann zahle ich auch den
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