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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Autoren: László Darvasi
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der vor Hitze flimmernden Ferne ein Kirchturm umkehrt, stehen auch die Bänke der Gläubigen und die Kanzel Kopf und auch das Abbild des gekreuzigten Gottessohnes, einerlei, ob die Christen, die hier eintreten, Moskau oder Rom ergeben sind. Doch die Zeit kehrt sich nicht um mit der kopfstehenden Kirche. Spektakulär in dieser Gegend ist weiter nichts, als daß die Zeit im Herzen des Wunders genauso störrisch und mitleidlos ihren eigenen Rhythmus schlägt wie im Schatten eines Robinienwäldchens am Straßenrand, auf einem Stoppelfeld im Mondschein oder im Lokus eines hohen Herrn. Ahnungslos wächst man auf, und so richtig erschrickt man erst, wenn man begreift, daß unversöhnlicher Haß schon die halbe Seele eingesponnen hat und man ohne diesen Haß nicht leben kann. Auch weich werden ist so eine Sache. Ich, Bog Dan, weiß, wovon ich spreche. Wenn man sich in einer sumpfigen Wiese zu aufblühendem Klatschmohn, im Grün aufleuchtender Syringe hinabbeugt, zu einem Käfer, der sich an einen Grashalm klammert, ja, dann kann man bereits seinen Hintern bedauern. Wer weiß, woher der Söldner oder Grasmusikant gekommen ist, der plötzlich hinter dir steht und seinen Schwanz hineinschiebt. Es war eine kranke Welt, aber weil sie nicht kränker war als ihre Vergangenheit, kannte sie keine richtige Scham. Von Zeit zu Zeit machten sich großspurige, begeisterte junge Männer auf den Weg, um den gleichgültigen, die Welt dem Verderben preisgebenden Gott zu ermorden, allein das Wesen, das sie ebenso leichthändig wie erbarmungslos liquidierten, stand sogleich wieder von den Toten auf, denn dafür war es da.
    Und auch die Mädchen taten das Ihre. Manch eine Hure wurde berühmt für ihren Mund, andere für ihren Hintern, wieder andere für ihre Vulva, die Töne von sich gab, sie hatten Peitschen und Handschellen, manchmal pinkelten sie dem Gast in die Hand, wenn er es wünschte. Eine Herrschaft kam regelmäßig mit zwei Bluthunden zum Stelldichein, bei Morgengrauen mußten die von der Liebe vollkommen geschwächten, leise winselnden Tiere mit Schlägen und Tritten nach Hause gezerrt werden. Die Mädchen beklagten sich nicht. Sie waren nett und fröhlich und tänzelten lachend mit ihren Kunden aufs Zimmer, ob es sich nun um ungehobelte Geschäftemacher aus der Umgebung handelte, um Wanderer von zweifelhaftem Charakter oder um Kuriere des Hofes mit staubigen Gesichtern. Wenn eine ihrer Gefährtinnen starb, wurde sie beweint; in ihrem Zimmer stöhnte schon am nächsten Tag eine andere unter stinkendem Männerfleisch. Meine Einnahmen stiegen. Das Geschäft blühte. Ich will aufrichtig sein. Im Grunde ließ sich ja doch nicht sagen, ob ich tüchtig und fähig war oder nur vom Schicksal eine vorläufige und jederzeit widerrufbare Erfolgsgenehmigung erhalten hatte. Über den zerbrechlichen und zufälligen Charakter meiner Unternehmung war ich mir im klaren. Immer häufiger machte ich auf dem Gutshof Spaziergänge, stirnrunzelnd und kopfschüttelnd. Es war Winter, weiß und unbarmherzig. Das Heulen der Wölfe konnte man verstehen. Schwärme dahinziehender Krähen schrieben korrekte Sätze an den Himmel. Die Eiszapfen an den gefrorenen Ästen gaben ein bimmelndes Konzert, und wenn auf dem zugefrorenen Fluß das Eis barst, na, dann huschte aus jedem Spalt ein Menschenname und ließ sich in den nahen Dörfern auf der Stirn eines Kindes nieder, das gerade zur Welt kam. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich müßte schreien. Dann hielt ich mir mit meiner faulenden Hand den Mund zu.
    Als das Gebimmel der Eiszapfen für einen Augenblick verstummte, die Wölfe ihr Geheul unterbrachen und die über die Herberge hinwegziehende Krähenschar den Himmel ohne ein einziges Krächzen in stummen Aufruhr versetzte, trat der Fremde durch die Tür. Ich hatte ihn noch nie gesehen, deswegen gab ich ihm spontan den Namen Vladimir Bjelo. Er mietete die ganze Pension für eine einzige Nacht, bezahlte sämtliche Mädchen und ließ einen imposanten Polsterstuhl neben den Kamin im großen Saal stellen. Ich wunderte mich nicht weiter, denn Sichwundern schadet in meinem Metier. Nimm die Dinge, wie sie sind, und schade ihnen nur, wenn sie dir schaden wollen. Vladimir Bjelo wollte niemandem schaden. Er starrte die Mädchen an und schlotterte. Sein Körper war glühend heiß, und er fror. Eine solche Stille hatte in der Pension noch nie geherrscht. Hinter den schweren Vorhängen liefen die Mädchen auf Zehenspitzen umher oder schlossen sich in ihren Zimmern ein und
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