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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Autoren: László Darvasi
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Mädchen brauchte, ihr kürzeres linkes Bein, ihre krankhaft bleiche, zu Geschwüren neigende Haut, ihr lebloser Blick erregten eher Widerwillen. Vladimir Bjelo, der die Pension einige Monate zuvor gemietet hatte, um hier zu sterben, war bereits vergessen. Die größte Überraschung folgte erst noch. Das Mädchen bekam von mir das beste Zimmer. Dann beschenkte ich sie mit weiteren Privilegien. Veronika mußte sich den hierarchischen Verhältnissen nicht unterordnen. Ich konnte ihr nicht befehlen, sie durfte so lange faulenzen, wie es ihr gefiel, sie machte keine Hausarbeit, und zu allem Überfluß – das war vielleicht die größte Provokation – konnte sie sich aussuchen, mit wem sie aufs Zimmer ging. Ein starkes Stück – in der Tiefe meines Herzens wußte ich, daß die Situation auf Dauer unhaltbar war.
    Des öfteren stand ich im Schlamm des Hofes und starrte zu Veronikas Fenster hinauf. Wenn sie aufs Zimmer ging, stellte sie immer ihre Krücke vor die Tür. Ob Gott sie wirklich nicht sieht? Ob man sich vor Gott verstecken kann, wie es jener alttestamentarische Prophet versuchte, gemäß der Heiligen Schrift zumindest. Wie auch immer, die Macht des Mädchens beunruhigte mich. Sogar in den Geschäftshäusern, Spielhöllen und Märkten der Umgebung wurde bereits geredet. Kaufleute von untadeligem Charakter machten sich auf den Weg, um eine Stunde mit ihr zu verbringen, die meisten jedoch vergeblich. Weltspione, unerkannt bleibende Politiker, Geldsäcke, Gauner und Liebeskünstler buhlten um ihre Gunst. Der Erwählte, hinter dem sich die Tür des Mädchens geschlossen hatte, zahlte mit abwesendem Lächeln, und wenn er sich zuletzt doch äußerte, welches Erlebnis ihm zuteil geworden war, verwickelte er sich in Widersprüche, und seine wirren Ausführungen steigerten die Unklarheit und Unsicherheit nur noch. Einmal machte sich ein balkanesischer Grasmusikant an sie heran. Er sang einige Minuten für sie, anscheinend mit Erfolg, denn sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu ihrem Zimmer. Doch kurz darauf fiel die an die Tür gelehnte Krücke um. Tobend, sich die Haare raufend, stürzte der Grasmusikant ins Freie.
    Inzwischen haßten meine Dirnen das Mädchen wie die Pest. Wenn es über den Hof hinkte, spuckten sie es an, schleuderten ihm Spaten nach, bewarfen es mit Nägeln, taten ihm Dreck ins Essen, setzten ihm in der Nacht Ratten ins Zimmer, gossen ihm rußigen Honig aufs Haar. Eines Nachts folterten sie es. Ein Wunder, daß es am Leben blieb. Die Lage spitzte sich immer mehr zu. Die Mädchen hatten etwas vor. Eine der jungen Huren berichtete mir regelmäßig von den Plänen der anderen, die ständig wechselten, doch stets dasselbe Ziel verfolgten.
    Um die Tragödie abzuwenden, machte ich eines Tages nicht auf. Es war Frühling, auf den Feldern streute man Samen aus, der Wind trug einen hauchzarten Flor über den Wald. Meine Diener schickten Reisende und Gäste an der Wegkreuzung zurück. Sie bedauerten, daß Amüsement und Service heute ausfallen müßten, leider sei der Wirt schwer erkrankt. Ich aber befahl die Huren auf den Hof, ohne Ausnahme. Ohne weitere Erklärungen packte ich Veronika und liebte sie auf der mit Pferdemist übersäten, von Schlamm und Benzin glitschigen Erde des Hofes. Die Mädchen begannen bei dem Anblick verlegen zu lachen. Nachdem mein Samen verströmt war, spähte ich, an meinem Schlitz fummelnd, zum Himmel. Veronika Schwarz lag im Dreck und keuchte. Plötzlich hatte ich die Empfindung, daß Gott sie tatsächlich nicht sah. Na schön, recht so. Sehr gut. Ich brach in dröhnendes Gelächter aus. Die Huren stimmten verlegen ein. Und dann, wer weiß, warum, lachte auch Veronika auf wie ein Marktglöckchen. Mein gurgelndes Gewieher nahm kein Ende, weil ich das Geheimnis nun kannte.
    Gott sieht sie nicht, weil Veronika Schwarz gut ist.
    Sie ist durch und durch, von Grund auf gut, so wie jeder Tropfen des Meeres Meer, wie jedes Stückchen Fels Fels ist, und wie der Mensch gerade dadurch zum fragwürdigen Produkt der Schöpfung wird, daß ihm die Ähnlichkeit Gottes anhaftet, er somit die Krankheit des Herrn teilt. In seltenen und wundersamen Fällen ähnelt der Mensch Gott nicht, dann wird er gut, vollkommen. Diese Glücklichen müssen versteckt werden, damit wir uns unsere Hoffnung auf das Gute bewahren können. Plötzlich hörte ich auf zu lachen. Irgendein Windhauch, ein Schatten über der Welt, ich weiß nicht mehr, was geschah. Ich spürte, das Mädchen war verloren. Ich hätte nicht
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