Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Autoren: László Darvasi
Vom Netzwerk:
wert, wenn die verschwenderische Leere zwischen Gebet und Erde einen Roman für sich selbst schreibt. Da traf mich, wie ein ernüchternder Schlag, die Nachricht Milenka Caricas.
    In den mit Speichel gekneteten, halbierten Brotlaib hatte man eine Bergblume mit blutigen Wurzeln gesetzt. Ich hatte schon gehört, daß Milenka Carica in Schwierigkeiten steckte. Die Leute tratschen überall wie die hungrigen Hunde. Auch unsere Gegend ist so. Wenn einer in einem fernen Tal seufzt, o Bog, o Bog, geben die Blätter der Bäume und die Erdbeerfelder, die Wiesen voller Primeln die Stimme von Blütenblatt zu Blütenblatt weiter, bis sich schließlich eine wahre Gruselgeschichte zu einem hochschaukelt.
    Sunce ti jebem, murmelte ich Mehmed zu, der gurgelnd lachte, um mir anzuzeigen, daß er sich wilden Honig auf die Zunge getröpfelt hatte, damit das Zeichen der Wahrheit nicht nur wahr, sondern auch schön war. Was für Sorgen mögen Milenka Carica quälen, die über eine wahre Armee verfügte, Konditoren, Seelenklempner und Popen in ihr Bett lockte und die, wie einige behaupten, sogar sich selbst beobachten ließ, um sicherzugehen, daß sie im Traum nicht falsch betete?!
    Eigentlich schickte uns Milenka Carica keine Nachricht, sie spie uns vielmehr einen Befehl entgegen. Ich solle losgehen, spritzte der Ukas, und Patra Xandar suchen, die in Metohija, auf einem südlichen Hang des Kosovo Polje lebt, oder vielleicht am Fuße des Prokletije gerade die schwankenden, ausgeplünderten Fußstapfen ihrer Brüder zählt. Bei uns scheißen selbst die Bären in goldene Klos, meine Freunde. Jebiga, jebiga, meine teure Milenka Carica, ich renne ja schon, wie könnte ich auch nicht rennen, schließlich habe ich ja Beine! Mehmed steckte mir eine Hahnenfeder ins Haar und beschmierte den Ärmel meines Umhangs mit Blut, damit mich auf dem Weg Ehrfurcht begleitete. Patra Xandar wohnte auf den westlichen Hängen des Cakor. Mehmed fand sie, der einige der umliegenden Stammesführer damit überraschte, daß er sie nicht belog. Wir waren tagelang unterwegs, und ich kann nicht behaupten, daß ich unterwegs mit Dankbarkeit an Milenka Carica gedacht hätte. Die Fenster des Hauses, in dem Patra Xandar lebte, waren vom Atemzug Sterbender verdunkelt. Es war still und es war Frühling. Patra Xandar saß in einem handgeschnitzten Rollstuhl aus Holz. Es fehlten ihr beide Beine.
    Sie beschäftige sich neuerdings mit Philosophie und Literatur, sagte sie leise, während sie meinen Umhang musterte. Dann nickte sie. Ich selbst sei sicher auch ein Literaturliebhaber, sagte sie und sah in mein Gesicht. Da ich kein Journalist und kein Pfarrer sei. Ich lächelte.
    Ja, liebe Patra Xandar, ich mag die Literatur. Das Mädchen wischte sich gedankenverloren über die Stirn, rollte ein wenig nach vorne und legte los. Das John-Donne-Gedicht, das ich selbst ziemlich mag, klang seltsam aus dem Munde Patra Xandars. Sie rezitierte The Good Morrow . Patra Xandar erzählte dann lange von ihren Beinen. Sie lud mich zu Zichorie und Zwieback ein. Wir saßen auf der Veranda, umgeben vom hinterbliebenen Atem der Sterbenden und Flüchtenden. Patra Xandar erklärte, sie habe ihre Zehen stets als zu lang und zu ungelenk empfunden. Ihre Knie waren brotlaibähnliche Geschwülste. Ihre Knöchel glänzten, als hätte man sie mit Fett eingerieben. Obendrein waren ihre Waden behaart.
    Wie sehr waren sie denn behaart?
    Patra Xandar zeigte zum dunklen Hang des Berges Cakor. Ich verstand sehr gut, was sie sagen wollte. Patra Xandar liebte ihre Beine, solange sie sie hatte. Sie liebte es, spazierenzugehen, von einem Grabhügel zu einer plätschernden Quelle zu gehen, manchmal rannte sie sogar. Oder jenes besondere Gefühl, überhaupt einen Schritt zu tun, und zwar mit den eigenen Beinen. Einen Schritt tun und darüber nachdenken, wieviel Schicksal in einem einzigen Schritt steckt, keinen halben Meter lang, du stehst noch nicht einmal am Rande eines Abgrunds, kein heimtückischer Abhang liegt vor dir, sondern eine weite Ebene, und dennoch: wieviel Schicksal steckt darin. Oder stundenlang dastehen im bleischweren Wind, der zwischen den Bergen hervorquillt. Jetzt war Frühling, und es regnete. Im Berghang brannten Feuer, ohne Rauch, mit einer reinen, durchscheinenden Flamme, wie wenn an einem Haus nur die Fensterscheiben leuchten und man dennoch in die Zimmer hineinsehen kann, die Menschen sehen, wie sie essen, reden, sich paaren, so was eben. Der Berghang. Am Berghang stehen, hinaufrennen.
    Ich trank
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher