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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit
Autoren: Alex Capus
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Rüter und von Zimmer nebeneinander auf ihren Zebralederstühlen, sahen hinaus auf den orange, rosa und lila leuchtenden See und berieten, was zu tun sei. Kurz vor Mittag hatte man fernen Geschützlärm gehört, und wenig später hatten die Eingeborenen zu munkeln begonnen, dass an der belgischen Küste ein Dampfer mit Mann und Maus gesunken sei. Unklar blieb zunächst, wie verlässlich die Nachricht sei und auf welchem Weg sie überhaupt den See überquert haben konnte, denn das Telegraphenkabel nach dem Kongo war tot, und Boots verkehr gab es längst keinen mehr. Da Rüter und von Zimmer inzwischen aber gelernt hatten, dass es in Afrika vieles gab, was deutsche Schulweisheit sich nicht träumen ließ, neigten sie dazu, das Gerücht für wahr zu halten. Keine Antwort gab das Gerücht indessen auf die Frage, die Rüter und den Kapitänleutnant am meisten interessierte: ob es ein fremdes oder ein eigenes Schiff gewesen war, das im See versunken war.
    «Wir müssen hinüberfahren und nachsehen», sagte Rüter.
    «Hinüberfahren? Womit denn, was schlagen Sie vor – sollen wir ein Ruderboot nehmen?»
    «Einen Dampfer haben wir noch.»
    «Unsinn. Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie selbst die Bordkanone der Götzen aus dem Stamm einer Kokospalme gefertigt haben.»
    «Wir können unsere Leute nicht im Stich lassen.»
    «Natürlich nicht. Aber wir helfen ihnen auch nicht, indem wir uns wissentlich selbst zur Schlachtbank führen.»
    «Es sind drei Maschinengewehre auf der Götzen.»
    « Haben Sie den Geschützlärm heute Mittag gehört, Rüter? Das waren schwere Kaliber, dreiundsiebzig, fünfundachtzig, vielleicht sogar hundertfünf Millimeter. Gegen die richten wir mit unseren Gewehren und unserer Kokospalme nichts aus.»
    «Darauf kommt es doch jetzt nicht mehr an, Herr Kapitänleutnant. Wir werden fahren, ob wir wollen oder nicht, das wissen Sie so gut wie ich. Wir werden beide mit an Bord sein, es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir werden fahren, weil wir nicht hier bleiben und nichts tun können. Das ist unmöglich.»
     
     
    Commander Geoffrey Basil Spicer Simson verbrachte die Nacht unten am Hafen und wartete. Er wusste, dass die Götzen kommen würde, weil es nicht anders möglich war. Es war undenkbar, dass der deutsche Kommandant, wer immer er war, zwei Schiffe kurz nacheinander verlor, ohne sich Klarheit darüber verschaffen zu wollen, was mit ihnen geschehen war. Falls man den Geschützlärm am deutschen Ufer hatte hören können, würde der Kommandant ein paar Stunden abwarten, ob die Wissmann als Siegerin heimkehrte, und dann mit der Götzen in See stechen. Spicer schätzte, dass die Deutschen frühestens um vier Uhr morgens hier eintreffen würden, wahrscheinlich sogar zwei oder drei Stunden später. Um aber das Rendezvous bestimmt nicht zu verpassen, hatte er seinem Diener schon nach dem Abendessen befohlen, ihm den Feldsessel, das Beistelltischchen und den Sherry sowie Fladenbrot und Oliven hinaus an die Spitze des Piers zu bringen. Und nun saß er da, rauchte Zigaretten und nippte Sherry, drehte am Siegelring, den er dem Kapitän der Kingani abgenommen hatte, und wartete. Die beiden belgischen Askari, die am Hafen Wache standen, hatte er schlafen geschickt. Es war eine stille, kühle und feuchte Nacht. Gegen Mitternacht zog Nebel auf. Hin und wieder erschreckte ihn ein großer Fisch, der im Hafenbecken hochsprang und platschend zurück ins Wasser fiel. Kurz vor der Morgendämmerung krähten im Nebel unsichtbar die Hähne. Und als im Osten der Nebel allmählich lichter wurde, konnte Spicer Simson endlich das Schiff hören. Es war das Summen und Brummen einer ziemlich großen Dampfmaschine, die sich von Norden her zu nähern schien, und bald vernahm er auch das Zischen der Bugwelle. Wenige Minuten später hörte er in seinem Rücken Stiefelgetrappel und die aufgeregten Rufe seiner Kanoniere und Bootsführer, die zu den Booten rannten und sich anschickten, die Leinen loszumachen. Spicer wandte sich nicht nach ihnen um, sondern sah weiter geradeaus in den Nebel, aus dem nun bald die Götzen –die er noch nie gesehen hatte – auftauchen musste. Und als es soweit war, als in furchterregender Nähe, keine hundert Yards entfernt, pechschwarz und himmelhoch die schwarze Stahlwand des größten Schiffes heranbrauste, das je im Innern Afrikas gesehen worden war – blieb Geoffrey Spicer Simson ruhig sitzen, hörte nicht die Zurufe seiner Untergebenen, die ihn immer dringender um den Befehl zum Angriff baten,
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