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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit
Autoren: Alex Capus
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Seife zurück in die Schale und schickte den Diener nach seinem Fernglas, und als dieser wiederkam, tauchte hinter den Klippen schon ein kleiner Dampfer auf. Diesmal war es die Wissmann. Eine gute Viertelstunde hatte Spicer nun Zeit, sich das Schiff in aller Ruhe anzusehen, wie es langsam und in unverschämter Ufernähe herankam und augenscheinlich ohne die geringste Ahnung, in welch große Gefahr es sich begab, an der Hafenmole vorbeizog, hinter der sich Mimi und Toutou versteckten. Spicer versuchte die Bordgeschütze zu erkennen und deren Kaliber zu erahnen, prägte sich die Länge über Deck ein, schätzte die Seitenhöhe sowie die Fahrtgeschwindigkeit und zählte die Besatzungsmitglieder, soweit sie an Deck auszumachen waren. Auf dem Brückendeck erkannte Spicer deutlich die weiße Uniform eines Offiziers, der sich etwas Schwarzes, wohl eine Kamera oder ein Fernglas, vors Gesicht hielt.
    «Guck du nur, schau nur her», sagte Spicer halblaut unter seinem Fernglas hervor. «Möchtest gern wissen, wo eure Kingani geblieben ist, wie, Leutnant? Ihr habt keine Ahnung, was mit ihr geschehen sein könnte, und noch immer keinen Schimmer, dass die Royal Navy hier ist, nicht wahr? Warte nur, Leutnantchen, wirst es früh genug erfahren. Heute passt es mir schlecht, ich habe meinen Badetag, und meine Boote haben eine kleine Havarie und können nicht zum Treffpunkt kommen. Fahr also ruhig weiter mit deinem Schüttelbecher, wohin du auch magst, und schau in einer Woche oder in zehn Tagen noch mal vorbei!»
    Als die Wissmann im Süden hinter einer Landzunge verschwunden war, stand Commander Spicer Simson auf und breitete die Arme aus, worauf der Diener ihm mit frischem Wasser den weißen Seifenschaum vom Leib spülte und das Handtuch reichte. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, steckte er sich eine Zigarette an, und der Diener schenkte ihm einen Sherry ein. Spicer nippte an seinem Glas und stieg in seine Pantoffeln, verschwand in der Hütte und ließ sich bis zum Einbruch der Nacht nicht mehr blicken. Der Diener aber schleppte die Badewanne hinüber zu einer nahen Klippe und schüttete das duftende Badewasser unter den andächtigen Blicken des Publikums in die Schlucht hinunter.
     

 
    23
    Der Abschied naht
     
     
     
    Der junge Wendt fand es gar nicht so übel, in der Kaserne zu wohnen. Am Tag, an dem er und Rüter ihre Bretterbude auf der Landzunge hatten räumen müssen, war er zwar verzweifelt gewesen, und einen kurzen, unbeobachteten Augenblick lang hatte er sogar geweint. Nun aber musste er sich eingestehen, dass er Wendt’s Biergarten, der in den letzten Monaten doch zu einem ziemlich trostlosen Ort verkommen war, nicht im Geringsten vermisste. In der Kaserne musste man zwar strammstehen und parieren, aber es war immer jemand da und stets etwas los, und abends konnte man Skat oder Fußball spielen oder einander am Lagerfeuer Geschichten erzählen. Wie zäh waren dagegen in den letzten Monaten die Stunden in der Gesellschaft Anton Rüters vergangen, der immer nur über die Götzen und seine Privatfehde mit dem Kapitänleutnant hatte reden wollen.
    Übrigens konnte man nun oft beobachten, dass Rüter und von Zimmer abends die Köpfe zusammensteckten. In der Stunde vor dem Zapfenstreich trugen sie zwei Zebralederstühle, die man aus dem Biergarten herbeigeschafft hatte, durch den Palmenhain hinunter zum Strand, wo nachts stets eine kühle Brise wehte, und dann sprachen sie über das Schicksal, die Freiheit des Menschen und die Unausweichlichkeit historischer Prozesse sowie über die Frage, ob man Hegel auf die Füße stellen oder auf dem Kopf belassen sollte.
    Der alte Teilmann redete noch immer kein Wort.
    Was die militärische Ausbildung anging, die der Kapitänleutnant den Papenburgern angedroht hatte, so ließ er nun, da Anton Rüter sich ihm ergeben hatte, Milde walten. Er bestand zwar auf einer gründlichen Schulung an der Waffe, auf korrektem Grüßen und einer einigermaßen anständigen Habtachtstellung beim morgendlichen Antreten, verzichtete aber auf die wichtigste Erziehungsmaßnahme militärischer Grundausbildung, die jede Armee dieser Welt sämtlichen Rekruten in den ersten Tagen angedeihen lässt – er verzichtete darauf, ihnen den Willen zu brechen. Er ersparte ihnen sinnlose Gewaltmärsche, geistloses Exerzieren und zweckfreies Schaufeln, und im Gegenzug verzichteten die Papenburger auf Verbocktheit und innerliche Rebellion. Zur Hauptsache bestand ihr Dienst darin, dass sie im Turnus als Maschinisten an
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