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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein
Autoren: Cate Tiernan
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Nacht
    Endlich erblickte Petra die Mädchen in einer Straßenbahn. Regen rann über das Fenster, hinter dem sie saßen. Sie sahen nicht gut aus, aber immerhin so, als seien sie noch am Leben und als würden keine dunklen Mächte um sie herumschwirren.
    Während sich der kristallene Eiszapfen, den sie zum Wahrsagen benutzte, noch vor ihrem Fenster drehte, hörte sie, wie jemand an die Tür klopfte.
    Daedalus.
    Na wunderbar. Die Krönung eines auch so schon ermüdenden, frustrierenden Tags.
    Petra öffnete die Tür. Als sie sein frohlockendes Gesicht sah, wurde ihr klar, dass der Zeitpunkt, vor dem sie sich so lange gefürchtet hatte, gekommen war.
    »Wir haben alles«, verkündete Daedalus und trat über ihre Schwelle, als würde er eine Bühne betreten. »Wir haben den Ritus in seiner endgültigen Form. Wir haben eine volle Treize. Und ich habe den Ring aus Asche gefunden.«
    Aufgrund jahrelanger Übung konnte Petra verhindern, dass sich Bestürzung auf ihrem Gesicht abzeichnete. Er hatte den Ring aus Asche gefunden? Sie hätten ihn besser verstecken sollen!
    »Die Zeit ist gekommen«, deklamierte Daedalus theatralisch.
    »Jetzt? Du meinst, noch vor Monvoile?«
    »Ich meine jetzt, heute Nacht«, erwiderte Daedalus.
    »Heute Nacht?!«
    »Ja. Alles ist bereit, als hätte der Himmel es so bestimmt.« Daedalus strich sich das Haar glatt.
    Was für ein Riesenhaufen … heiße Luft, dachte Petra.
    »Bitte hol Clio und Thais und trefft uns dann alle heute um Mitternacht zum Zirkel.« Daedalus überreichte ihr den Ausdruck einer Landkarte und eine Wegbeschreibung. Er wusste nicht, dass sie, Ouida und Sophie den Ring schon vor Wochen gefunden hatten. »Der Ritus wird um exakt zwölf Uhr siebenundzwanzig beginnen, wenn der Mond am vollsten ist.«
    »Ich glaube nicht, dass wir schon für den Ritus bereit sind«, versuchte es Petra.
    »Ihr werdet es sein.« Daedalus sah auf sie herunter und seine Züge wurden weich. Plötzlich nahm er ihre Hand. »Petra. Wir hatten über zweihundert Jahre Zeit, darüber nachzudenken, davon zu träumen. Uns darauf vorzubereiten. In jener schrecklichen Nacht, vor all den Jahren, hat Melita uns etwas geschenkt und gleichzeitig einen Fluch über uns gebracht. Dies ist unsere Chance, unsere Verletzungen zu heilen, die Geschenke noch schöner werden zu lassen, den Fluch in eine andere, eine bessere Richtung zu lenken und endlich das zu bekommen, was unseren Herzen am teuersten ist. Du bist bereit dafür. Du bist schon sehr lange dafür bereit.«
    Sie blickte ihn an. »Ich traue dir nicht.«
    Lachend warf er den Kopf zurück.
    Petra fiel ein, dass er als junger Mann einmal recht attraktiv gewesen war. Doch er war nicht gut gealtert. Anstatt würdevoll zu werden, war er nur hochmütig geworden.
    »Das musst du nicht, das ist ja das Schöne, meine Liebe«, sagte er. »Jeder von uns bringt seine eigenen Stärken in diesen Ritus ein, seine eigenen Kräfte. Und keiner von uns ist eine Melita. Jeder mag ein anderes Ziel verfolgen und wir mögen unsere gegenseitigen Ziele nicht gutheißen oder unterstützen – aber sie sind ja auch persönlicher Natur, beziehen sich nur auf uns selbst. Gib auf dich acht und alles wird sich richten.«
    Er ließ ihre Hand los und ging wieder zur Tür. »Bis Mitternacht also.« Seine Augen funkelten, sein Gesicht wirkte munter und lebendig. Immer noch lächelnd verließ er die Wohnung, und es schien ihn nicht zu kümmern, dass Petra nicht versprochen hatte zu kommen.
    7
    Es hatte zu regnen aufgehört. Petra befand sich gerade in ihrem frisch bepflanzten Garten, als sie spürte, wie die Mädchen von der Straßenbahnhaltestelle nach Hause liefen. Sie hatten sich ihr mit Absicht widersetzt, ihre Autorität vollständig unterwandert und, was noch schlimmer war: Sie hatten sich nicht mal von der Gewissheit aufhalten lassen, dass sie verrückt werden würde vor Sorge.
    Und das von Teenagern, welche Überraschung.
    Die Mädchen hielten am Eingangstor inne, als sie Petra auf dem feuchten backsteinernen Weg neben dem Kräuterbeet knien sahen.
    »Nan«, sagte Clio.
    Petra blickte auf. Beide sahen aus wie getaufte Mäuse, fast so schlimm wie an dem Tag, als sie sie aus der Wasserhose gezogen hatte – gute Göttin, war das erst gestern gewesen? Als sie Clio ein wenig genauer in Augenschein nahm, bemerkte sie, dass sie geweint hatte und aufgewühlt aussah. Bestimmt hatte sie Richard einen Besuch abgestattet, vermutete Petra sofort. Aber er war doch hoffentlich nicht für die Blutergüsse
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