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Eine Eule kommt selten allein

Titel: Eine Eule kommt selten allein
Autoren: Charlotte MacLeod
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Schwachkopf eigentlich?
    Peter konnte sich sowieso nicht erklären, warum in aller Welt Emmerick sich ihnen heute abend angeschlossen hatte. Der Mann war Ingenieur oder bezeichnete sich zumindest als solcher, verstand offenbar nicht das geringste von Eulen und besaß leider auch nicht das nötige Gespür, zu gegebener Zeit sein großes Maul zu halten. Jedesmal, wenn Peter ihm während der letzten Woche in der Station begegnet war, hatte er ungefragt seine Meinung zu allem und jedem zum besten gegeben.
    »Station« war ein Kurzwort, das sowohl die neue Forschungsstation des Colleges draußen an der Westgrenze von Balaclava County als auch die kleine Fernsehstation bezeichnete, die unter Emmericks Leitung dort gebaut werden sollte. Das dreißig Hektar große Areal gehörte zum alten Binks-Besitz und war ebenso wie das geplante Gebäude ein Geschenk der Erbin. Professor Binks und ihr großes Vorbild, der inzwischen emeritierte Professor John Enderble, Spezialist für die hiesige Fauna (Verfasser der Werke Das Leben der Säugetiere in Höhlenbauten, Verdamme nie einen Biber, Unsere Freunde, die Reptilien u. a.) hatten in einem Fertighaus, in dem sie inzwischen auch schon Naturkundeseminare abhielten, ein Museum für hiesige Flora und Fauna eingerichtet. Ihr eigenes Haus hatte Winifred höchstpersönlich aus Fertigteilen gebaut. Bei Sendestationen, so wurde ihr mitgeteilt, liege die Sache allerdings völlig anders, da diese bedeutend komplizierter zu bauen seien, selbst wenn von dort lediglich umweltorientierte Beiträge gesendet werden sollten.
    Peter war Mitglied des Planungsausschusses und hatte bereits seinen alten Freund Timothy Arnes für ein spannendes, ergreifendes Epos über Bodenverbesserung gewinnen können. Emmerick äußerte die Ansicht, das Programm müsse unbedingt mit
    ein wenig Sex und Gewalt aufgelockert werden, woraufhin Tim sich bereiterklärte, einen Regenwurm mit Hilfe eines Springmessers in zwei Hälften zu schneiden. Damit hätte er nicht etwa einen toten, sondern vielmehr zwei lebendige Würmer geschaffen, und das ohne den ganzen lästigen Aufwand, den die Säugetiere, inklusive des sogenannten Homo-angeblich-sapiens, treiben. Emmerick hatte eingewandt, unter Sex und Crime habe er sich eigentlich etwas anderes vorgestellt. Peter hatte die leise Ahnung, daß er Emmerick, wenn er ihn erst einmal näher kennengelernt hatte, schon sehr bald feuern und durch jemanden ersetzen mußte, dessen Gehirn nicht an eine Elektrodenröhre angeschlossen war.
    Doch alles zu seiner Zeit. Momentan erlaubte ihnen der merkwürdige große Vogel immer noch, hin und wieder durch die Bäume einen flüchtigen Blick auf seine weiße Federpracht zu erhaschen. Falls es überhaupt jemandem gelingen sollte, dieses Wesen -Schnee-Eule, Geist oder was auch immer es sein mochte - richtig zu Gesicht zu bekommen, wollte Peter Shandy unbedingt einer dieser Glücklichen sein.
    Natürlich war Svensons Gruppe nicht die einzige Eulenzählmannschaft. Diverse andere Fakultätsmitglieder, die Vogelfans unter den Studenten und einige interessierte Bürger von Balaclava Junction waren ebenfalls auf Eulenzähljagd und bereit, so lange durch Wald und Feld zu streifen, bis sie vor Müdigkeit nicht mehr weitergehen konnten. Das Gebiet war aufgeteilt und den verschiedenen Gruppen zugewiesen worden, die in der Regel aus jeweils acht Eulenmeldern bestanden. Svenson hatte darauf bestanden, das schwierigste Gebiet und die wenigsten Begleiter zu bekommen, hatte sich aber dafür die Elite herausgepickt: nämlich Stott, Binks und Shandy, und zwar in genau dieser Reihenfolge. Emmerick war der Gruppe möglicherweise als eine Art Buße auferlegt worden, vermutete Peter, denn der Präsident hatte es nicht gern, wenn alles zu leicht ging.
    Was zum Henker hatte dieses verflixte Federvieh bloß vor? Peter hatte noch nie zuvor eine Eule zu Gesicht bekommen, die sich so untypisch verhielt; allmählich wurde ihm das Ganze richtig unheimlich. Möglicherweise hatte Miss Binks - sie hatte ihm angeboten, sie Winifred zu nennen, doch bis jetzt hatte er sich dazu noch nicht überwinden können, da sie ihn allzu sehr an seine ehemalige Volksschullehrerin erinnerte - gar nicht einmal so unrecht mit ihrer Vermutung, das Tier wolle sie alle zum Narren halten. Allem Anschein nach war dieses Wesen weniger ein Vogel als ein Schreckgespenst. Wenn sie erst einmal die Stelle erreicht hatten, zu der es sie hinzulocken versuchte, würde es sicher einen schrecklichen Schrei ausstoßen
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