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Eine Eule kommt selten allein

Titel: Eine Eule kommt selten allein
Autoren: Charlotte MacLeod
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Da ist sie wieder! Mir nach!«
    Sie legten einen Schritt zu, immer noch in einer Reihe hintereinander marschierend, wie es das Eulenzählprotokoll vorschrieb. Präsident Svenson bildete selbstverständlich die Spitze. Daniel Stott, enthusiastischster Eulenfan von ganz Balaclava, folgte ihm auf dem Fuße, die kenntnisreiche Winifred Binks direkt hinter sich. Der Vierte im Bunde war ärgerlicherweise der unberechenbare Neuling Emory Emmerick, das Schlußlicht bildete Peter Shandy.
    Jeder wollte das geheimnisvolle Tier unbedingt zu Gesicht bekommen. Die Regeln verlangten, daß jeder Vogel von mindestens zwei Mitgliedern eines Teams eindeutig identifiziert wurde. Aber wer würde ihnen schon glauben, daß sie im Oktober in Massachusetts eine Schnee-Eule entdeckt hätten, ohne einen in Blut geschriebenen Eid der gesamten Gruppe oder irgend etwas in dieser Art?
    »Irgendwas an dem Vogel kommt mir fast schon unheimlich vor.« In Waldkunde war Winifred Binks ihren Begleitern weit überlegen. Sie war wachsam wie ein Fuchs und so scharfsichtig, daß ihr selbst die kleinste Bewegung zwischen den Baumkronen nicht entging. »Sie fliegt so langsam, daß man beinahe annehmen könnte, sie wolle uns zum Narren halten. Wirklich äußerst merkwürdig!«
    »Möglicherweise ist die Eule verwundet oder einfach nur verwirrt«, meinte Professor Stott. »Das würde auch erklären, warum sie sich so ungewöhnlich weit von ihrem natürlichen Lebensraum entfernt hat.«
    Professor Stott war in derselben Eulenzählkluft erschienen, die er seit zwei Jahrzehnten jedes Jahr anhatte. Er trug knöchelhohe Stiefel, einen flachen grünen Filzhut, dessen Band die Feder eines gesprenkelten Perlhuhns zierte, riesige braune Knickerbocker und eine dazu passende bequeme Tweedjacke. Ein dunkelgrünes Flanellhemd und dicke Strümpfe mit einem Rhombenmuster in Braun- und Grüntönen, die seine verstorbene Gattin Elizabeth ihm vor Jahren gestrickt hatte und die von der jetzigen Mrs. Stott liebevoll instand gehalten wurden, vervollständigten das Ensemble. Iduna Stott, geborene Bjorklund, war nach der nordischen Göttin benannt, die bekanntlich die goldenen Äpfel der ewigen Jugend hütete. Sie fütterte womöglich ihren Gatten mit den ihr anvertrauten Früchten, denn für sein reifes Alter und seine be-trächtliche Leibesfülle glitt Stott mühelos hinter seinem Anführer her, ohne auch nur ein einziges Mal nach Luft zu schnappen.
    Winifred Binks hatte erst vor kurzem das Vermögen ihres Großvaters geerbt und war immer noch damit beschäftigt, ihre ständig wachsenden Millionen zu zählen. Trotzdem machte sie von ihrem Reichtum keinerlei Aufhebens. Ihre normale Arbeitskleidung bestand aus einfachen grauen oder braunen Hosen und gestrickten Pullovern in Naturtönen oder dezenten Pastellfarben, wie es sich für eine Dame unbestimmten Alters geziemte. Heute nacht allerdings hatte sie die Männer überrascht, indem sie in einer abgetragenen langen Jacke mit passender Hose und Mokassins erschienen war, die sie sich in schlechteren Zeiten aus selbstgegerbtem Hirschleder genäht hatte.
    Kopf und Schlußlicht der Gruppe waren weniger exotisch gewandet. Thorkjeld Svenson, noch größer und zudem bedeutend muskulöser als Stott, hätte in seinem grauen Flanellhemd und der grauen Arbeitshose durchaus selbst als Felsenriese durchgehen können, hätte er nicht dazu eine rote Wollmütze mit einem riesigen weißen Bommel getragen, der aussah wie die überdimensionale Blume eines Kaninchens. Peter Shandy, der mit Bestimmungsbuch, Klemmbrett, Erste-Hilfe-Kasten, Taschenlampe und einer Flasche Brandy für eventuelle Notfälle die Nachhut bildete, war ähnlich wie der Präsident gekleidet, trug allerdings statt der Bom-melmütze einen unförmigen alten Tweedhut.
    Emory Emmerick, in eleganten Flanellhosen und einem Pullover mit Norwegermuster, der Miss Binks bestimmt besser gestanden hätte als ihm, ähnelte viel zu sehr einem Dressman aus einem Versandhauskatalog, um in diese Gruppe aus Individualisten zu passen. Zudem fiel er durch sein Verhalten völlig aus dem Rahmen. Obwohl das Eulenzählprotokoll verlangte, daß die Mitglieder jedes Teams geschlossen in einer Reihe hintereinander zu gehen hatten, raste Emmerick urplötzlich nach vorn, wobei er zur   allgemeinen Entrüstung auch noch mit dem Fuß auf einen Zweig trat, und machte Anstalten, sich an die Spitze der Gruppe zu setzen. Ein Benehmen, das praktisch an Majestätsbeleidigung grenzte, für wen hielt sich dieser verdammte
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