Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
Vom Netzwerk:
daß sie aufgrund ihrer unglücklichen Liebe dahin gekommen ist, alles vom Standpunkt des Todes aus zubetrachten. Allerdings schreibt sie, sie verstünde nicht, auf welchem Wege Du dorthin gelangt seist, doch scheint es, daß sie sich fragt, ob nicht womöglich auf demselben Wege wie sie, und ich begann wie sie darüber nachzudenken, ob Du vielleicht nicht aufgrund einer unglücklichen Liebe, sondern aufgrund dessen, daß Dir die Liebe zu wenig gab, dazu gelangt bist, daß Du nunmehr von diesem beruhigenden Standpunkt aus das Leben, die Menschen und das Glück betrachtest. Ich habe mich heute sehr in mich zurückgezogen, betrachte von diesem Standpunkt aus, wo denn mein Weg der Beruhigung sein möge, und ich sehnte mich danach, aus meinem alltäglichen Einerlei auszubrechen, das mich ganz und gar verschlungen hat, in Gesellschaft zu gehen, eine Beschäftigung zu haben, die mich mehr erfreut und zufriedenstellt. Was dies aber sein könnte, das weiß ich nicht.
    Wie die kleine Tanja heute immerfort nach Dir fragt und bei jeder nur möglichen Gelegenheit von Dir spricht, das würde Dir gefallen, könntest Du es hören. Serjosha hat zweimal nach Dir gefragt, Iljuscha versteht es noch nicht. Dem Armen hat Serjosha gerade mit der Tür die Nase blutig geschlagen, er atmet ganz schwer und niest ohne Unterlaß. Die kleine Tanja ist wohlauf, Mamá, das Tantchen und allen geht es gut, aber mir schmerzt der Hals, und ich bin ganz heiser. [...]
    Ich [...] habe Dir ja gesagt, daß ich ganz aus der Übung bin im Briefeschreiben. Ich möchte Dir alles so schnell als möglich sagen, aber alles auf einmal zu sagen ist unmöglich. Und nun mußt Du diesen konfusen Brief lesen, wenn Du hier wärst, hättest Du mir sicher wieder einmal gesagt: »Du hättest Dich lieber mit dem Samowar unterhalten sollen.« An diesen Ausspruch habe ich mich gerade erinnert und bin nun beleidigt. Lebe nun also wohl, wenngleich ich verstimmt bin, da es mir ohne Dich so schwer ist, küsse ich Dich fest. Und ich, wie auch das Tantchen, möchte Dir sagen: Behüte Dich Gott. Lange noch werden wir uns nicht sehen.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [4. September 1869]
    [Saransk]
    Ich schreibe Dir aus Saransk, liebe Freundin. Bin fast angekommen. Von hier aus sind es noch 46 Werst. 101
    Wie geht es Dir und den Kindern? Es ist doch nichts passiert? Mich quält seit zwei Tagen große Unruhe. Am dritten Tag unserer Reise übernachteten wir in Arsamas, und dort geschah mir etwas Absonderliches. Es war zwei Uhr nachts, ich war furchtbar müde, wollte schlafen, nichts tat mir weh. Plötzlich jedoch überfielen mich Schwermut, Angst, Entsetzen, wie ich es noch niemals zuvor erlebt habe. Genaueres über dieses Gefühl berichte ich Dir später; doch ein solch quälendes Gefühl habe ich noch nie zuvor empfunden und Gott behüte, daß irgend jemand sonst es einmal erleben muß. 102 Ich sprang auf, befahl anzuspannen. Während angespannt wurde, schlief ich noch einmal ein, und als ich wieder aufwachte, fühlte ich mich gesund. Gestern, auf der Fahrt, kehrte dieses Gefühl in weit schwächerem Maße wieder zurück, doch ich war darauf vorbereitet und ließ nicht zu, daß es mich übermannte, es war ja auch viel schwächer. Heute fühle ich mich gesund und heiter, zumindest so, wie ich es ohne die Familie sein kann.
    Während dieser Reise habe ich zum ersten Mal erkannt, wie sehr ich mit Dir und den Kindern zusammengewachsen bin. Ich kann allein bleiben, um Geschäfte zu erledigen, wie es in Moskau der Fall ist, doch sobald ich ohne Beschäftigung bin, fühle ich ganz entschieden, daß ich nicht allein sein kann. [...]
    Seit Nowgorod etwa 2/3 des Weges ein und dasselbe Bild: Sandboden, prachtvolle Bauernhäuser wie in der Umgebung Moskaus. Mir gefällt diese Landschaft nicht. Bei Saransk beginnt die Schwarzerde, alles gleicht der Umgebung Tulas, sehr malerisch. Ich hoffe, meine Reise kurz zu halten, schreibe aber nichts Genaues, bevor ich nicht an Ort und Stelle angelangt bin. [...]
    Lebe wohl Liebste. Eines ist gut, nämlich daß ich weder über den Roman noch über die Philosophie nachdenke. 103

1871
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    10. Juni [1871]. Donnerstagabend.
    [Jasnaja Poljana]
    Ich schicke Dir, lieber Ljowotschka, Stjopa 104 , der nun doch mit Dir fahren möchte, und die kleine Ikone, die immer und allerorten bei Dir war. So soll es auch dieses Mal sein. Du wirst sicher erstaunt sein, daß ich sie Dir schicke, doch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher