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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar
Autoren: Andreas Eschbach
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was du willst im Leben.«
    »Ja«, sagte John. »Da hast du Recht.«
    Aber er wurde seine Schulden nicht los, von allem anderen ganz zu schweigen. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, verfiel Murali, der Besitzer des Pizzadienstes, zudem auf die Idee, jedem Kunden südlich des Empire State Building die Lieferung seiner Pizza innerhalb von dreißig Minuten ab Bestellung zu garantieren. Wer länger warten musste, brauchte nichts zu bezahlen. Diese Idee stammte aus irgendeinem Buch, das er nicht mal selber gelesen, sondern von dem ihm nur jemand erzählt hatte, und die Folgen waren verheerend. Jeder Ausfahrer hatte vier Verspätungen pro Woche frei, was darüber hinausging, bekam man vom Lohn abgezogen. In Stoßzeiten, wenn die Pizzen schon mit Verspätung aus der Küche kamen und der Kunde womöglich tatsächlich in der dreißigsten Straße wartete, war es schlechterdings nicht zu schaffen. John wurde das Bankkonto gekündigt, er bekam Streit mit Marvin wegen der Miete, und es waren kaum noch irgendwelche Sachen übrig, für die er beim Pfandleiher Geld bekam. Zuletzt versetzte er die Armbanduhr, die ihm sein Vater zur Kommunion geschenkt hatte; eine schlechte Idee, denn danach traute er sich nicht mehr zu seinen Eltern, wo er wenigstens ab und zu verköstigt worden war. An manchen Tagen war ihm regelrecht schlecht vor Hunger, während er die nach Käse und Hefe duftenden Styropacks durch die Straßen radelte. So brach das Jahr 1995 an. In Johns Träumen tauchten ab und zu die märchenhaften Männer seiner Kindheit wieder auf, winkten ihm lächelnd zu und riefen etwas, das er nicht verstand. Die Londoner Baring Bank ging nach fehlgeschlagenen Devisenspekulationen ihres Angestellten Nick Leeson pleite, die japanische Sekte Aum Shiri Kyo tötete mit Giftgasanschlägen auf die Tokioter U-Bahn zwölf Menschen und verletzte fünftausend weitere, und bei einem Bombenanschlag in Oklahoma City kamen 168 Menschen ums Leben. Bill Clinton war immer noch Präsident der Vereinigten Staaten, hatte aber eine schwere Zeit, weil seine Partei in beiden Häusern des Kongresses ihre Mehrheit verloren hatte. John stellte fest, dass er seit über einem Jahr kein Bild gemalt hatte, dass nur die Zeit irgendwie vergangen war, und hatte das Gefühl, auf irgendetwas zu warten, nur dass er nicht hätte sagen können, worauf.
     
    Der 23. April war nicht gerade ein Glückstag. Zunächst mal, ein Sonntag, und er musste arbeiten. In der Pizzabäckerei wartete mal wieder eine Nachricht seiner Mutter auf ihn, er solle anrufen – das Telefon in Marvins WG war chronisch abgemeldet, zum Glück. John warf den Zettel weg und widmete sich den Fahrten, von denen es, wie immer an Sonntagen, wenig gab, was hieß, wenig Geld, und meistens ging es zu den verrücktesten Adressen. Da er sein Limit an Verspätungen für diese Woche schon aufgebraucht hatte, legte er sich mächtig ins Zeug, und wahrscheinlich weil er sich so ins Zeug legte, passierte es: Er schoss aus einer Abkürzung zwischen zwei Blocks hinaus auf die Straße, bremste einen Moment zu spät und rammte einen Wagen, eine schwarze, lange Limousine, die aussah, als säße der Typ aus dem Film Wall Street darin, den Michael Douglas spielte.
    Das Rad war eiernder Schrott, die Pizzen Abfall, während der Wagen davonglitt, als sei nichts gewesen. John rieb sich die Knie unter den zerrissenen Jeans, sah den dunkelroten Rücklichtern nach und begriff, dass alles noch weit übler für ihn hätte ausgehen können. Murali tobte, als John wieder angehumpelt kam, ein Wort gab das andere, und schließlich war John den Job los, und den fälligen Wochenlohn gab es auch nicht, weil Murali das Geld für die Reparatur des Fahrrads einbehielt. So marschierte John zu Fuß nach Hause, mit ganzen zehn Cent in der Tasche und einer Stinkwut im Bauch, durch eine Nacht, die immer kälter wurde, je länger sie dauerte. Auf den letzten Meilen durch Brooklyn fiel ein ekliger Nieselregen, und als John endlich ankam, wusste er nicht mehr, ob er im Himmel oder in der Hölle war oder noch auf Erden.
    Es roch nach Spiegeleiern und Zigaretten, als er die Tür aufschloss, und es war herrlich warm. Marvin hockte, wie er das oft machte, mit untergeschlagenen Beinen in der Küche, seinen Fender Jazz Bass in den Verstärker eingestöpselt, so leise gedreht, wie es noch Sinn machte, aber anstatt wie sonst wild über die Saiten zu fuhrwerken, machte er bloß dumpfe Töne, die sich anhörten wie der Herzschlag eines kranken Riesen. Du-dumm.
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