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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar
Autoren: Andreas Eschbach
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Cristoforo Vacchi sein mochte, aber sicher war er eher achtzig als siebzig. Von seinem schlohweiß gewordenen Haar war wenig übrig, seine Haut war schlaff und fleckig und von zahllosen Falten durchfurcht. Trotzdem wirkte er, wie er, mit graziös ineinander gelegten Händen, dasaß und auf seine Unterlagen hinabsah, absolut kompetent und völlig Herr der Lage. Niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen, angesichts dieses durchaus gebrechlichen Mannes den Begriff Senilität ins Spiel zu bringen. Und sei es nur, weil er damit riskiert hätte, sich selbst lächerlich zu machen.
    »Ich will Ihnen jetzt die ganze Geschichte erzählen«, begann er. »Sie beginnt im Jahre 1480 in Florenz. In diesem Jahr wird Ihr Vorfahre Giacomo Fontanelli geboren, als uneheliches Kind seiner Mutter und eines unbekannten Vaters. Die Mutter findet den Schutz eines Klosters und seines barmherzigen Abtes, dessen Name nicht überliefert ist, und der Junge wächst unter Mönchen heran. Mit fünfzehn Jahren, nach heutiger Zeitrechnung am 23. April des Jahres 1495, hat Giacomo einen Traum – den man vielleicht eher eine Vision nennen muss, obwohl er selbst immer nur von einem Traum schreibt –, einen Traum so hell und intensiv, dass sein ganzes weiteres Leben davon bestimmt wird. Bei den Mönchen hat er schreiben, lesen und rechnen gelernt, und kurz nach dem Traum zieht er hinaus, um Kaufmann und Händler zu werden. Er ist in Rom und vor allem in Venedig tätig, dem damaligen Zentrum der südeuropäischen Wirtschaft, heiratet und setzt insgesamt sechs Kinder in die Welt – allesamt Söhne –, die später zumeist ebenfalls kaufmännische Laufbahnen einschlagen. Giacomo jedoch kehrt im Jahre 1525, mit gerade fünfundvierzig Lenzen, in das Kloster zurück, um auch den Rest seines Traumes zur realisieren.«
    John schüttelte wie betäubt den Kopf. »Ich höre immer Traum. Was für ein Traum?«
    »Giacomo Fontanelli hat in diesem Traum sozusagen sein eigenes Leben vorweggenommen gesehen – seinen beruflichen Weg, seine künftige Frau, und, unter anderem, welche gewinnbringenden Geschäfte er machen würde. Doch noch wichtiger als das: Er sah in diesem Traum auch eine Zeit, die fünfhundert Jahre in der Zukunft lag und die er beschreibt als ein Zeitalter schreienden Elends und erbärmlicher Angst, eine Zeit, in der keiner mehr eine Zukunft sieht. Und er sah, dass es der Wille der Vorsehung war – der Wille Gottes sozusagen –, dass er sein Vermögen demjenigen vermachen sollte, der am fünfhundertsten Jahrestag seines Traumes der jüngste seiner männlichen Nachkommen sein würde. Dieser Mann war auserkoren, den Menschen die verloren gegangene Zukunft zurückzugeben, und er würde dies tun mit dem Vermögen Giacomo Fontanellis.«
    »Ich?«, rief John entsetzt aus.
    »Sie«, nickte der Padrone .
    »Ich soll was sein? Auserkoren? Seh ich vielleicht aus wie jemand, der auserkoren ist für irgendetwas?«
    »Wir sprechen hier nur von geschichtlichen Tatsachen«, erwiderte Cristoforo Vacchi sanft. »Was ich Ihnen hier erzähle, werden Sie in Bälde im Testament Ihres Urahns nachlesen können, das wir in unserem Archiv verwahren. Ich erkläre Ihnen nur, was seine Motive waren.«
    »Ach so. Also, Gott war ihm erschienen. Und deshalb sitze ich heute hier?«
    »So ist es.«
    »Das ist doch verrückt, oder?«
    Der alte Mann hob andeutungsweise die Hände. »Das zu entscheiden, überlasse ich Ihnen.«
    John seufzte. »Den Menschen die Zukunft zurückgeben. Ausgerechnet ich?« Da sah man wieder mal, was Visionen und heilige Träume wert waren. Genau nichts nämlich. Klar, niemand sah heutzutage mehr eine Zukunft. Jeder wartete bloß noch auf die Entscheidung, an welcher ihrer vielen Plagen die Menschheit untergehen würde. Dass sie untergehen würde, war klar und ausgemachte Sache. Die Alternativen beschränkten sich auf die Wahl der Waffen – die Angst vor dem Atomkrieg war in den letzten Jahren ein bisschen aus der Mode gekommen, wahrscheinlich ganz zu Unrecht, wenn man sich die instabile Weltlage ansah, hoch gehandelt wurden dagegen Seuchen neuer Epidemien – AIDS, Ebola, Rinderwahnsinn, irgendetwas in dieser Preisklasse –, die sich durch die gewaltigen, von Hungersnöten geschwächten Menschenbestände fraßen. Nicht zu vergessen das Ozonloch und die Ausbreitung der Wüsten, und wie man hörte, würde auch das Trinkwasser demnächst knapp und demzufolge umkämpftes Gut werden. Nein, es gab wirklich keinen Grund, heutzutage noch eine Zukunft zu
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