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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang
Autoren: Norbert Gstrein
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vollkommen aufgelöst zum Dienst erschienen, dachte ich, dass sie nichts wusste. Als ich wieder auf die Straße entwischte, war ich froh und schlenderte eine Weile, in Gedanken versunken, durch die Stadt. Es wurde schon Abend, als ich die Buchhandlung betrat und dort in dem Regal mit den Reiseführern herumstöberte. Ich fand einen Bildband über Umbrien, den ich kaufte und gleich im nächsten Café durchblätterte, und es war, wie ich es erwartet hatte, ich konnte mich an den gelben Hügeln, die sich in der Weite verloren, nicht sattsehen.
    Zu der Zeit war ich unter den Überbleibseln von Daniels Winteraufenthalt in meinem Haus schon auf ein kleines Büchlein über Franz von Assisi gestoßen, das ich nicht weiter beachtet hatte, jetzt aber wieder hervorholte, kaum dass ich zurück war. Der Text von Hermann Hesse war in seinem Legendenton wahrscheinlich ebenso gewollt wie ungewollt einfältig und ganz und gar unerträglich, aber ich schaute mir die Fresken von Giotto an, mit denen er bebildert war und in denen verschiedene Lebensstationen des Heiligen thematisiert wurden, unter anderem seine berühmte Predigt vor den Vögeln. In dem kleinen Format bekam ich natürlich nur eine ungefähre Vorstellung von der Wirkung, die sie im Original haben mussten, aber das genügte mir. Ich ließ das Büchlein von da an auf dem Tisch liegen, an den ich mich jeden Tag zum Schreiben setzte, sah zu, dass ich es immer dabeihatte, wenn ich morgens meine Sachen herausholte, und dass es, einmal mit dem, einmal mit jenem Bild aufgeschlagen, griffbereit neben meinem rasch anwachsenden Manuskript lag.
    Dort fiel es dann auch Judith in die Hände. Sie war erst zweimal zu mir herausgekommen, und beide Male allein. Sie hatte sich vor dem Haus einen Platz gesucht, und ich ließ sie nach einer kurzen Unterhaltung mit ihren Gedanken in der Sonne sitzen und gab mich beschäftigt. Beim zweiten Mal war sie so leise, dass ich sie nicht hörte, und sie musste mir schon eine Weile beim Schreiben zugesehen haben, als ich auf sie aufmerksam wurde. Jedenfalls hatte ich keine Zeit mehr, meine Sachen wegzuräumen, und bemühte mich von da an auch nicht länger, etwas vor ihr zu verbergen, wenn sie wiederkam. Dann schrieb ich einfach noch eine Weile weiter, und sie wartete, bis ich meinen Bleistift auf das Papier legte und mich zu ihr gesellte. Ich hatte mich nie gefragt, was ihr Sohn machte, während sie mich besuchte, und war deshalb überrumpelt, als sie ihn eines Tages erwähnte. Es war an einem der drückend heißen Nachmittage dieses Sommers, und sie hatte ihr Kleid ausgezogen und lag keine drei Schritte von mir entfernt im Badeanzug auf einer Decke, zündete sich eine Zigarette an und blätterte in dem Büchlein über Franz von Assisi.
    »Das nächste Mal könnte ich meinen Buben mitbringen«, sagte sie versonnen zwischen zwei Zügen und sah dem Rauch hinterher, den sie, fast ohne den Mund zu öffnen, ausgeatmet hatte. »Er ist nach dem Heiligen benannt.«
    Ich war so vertieft in mein Manuskript gewesen, dass ich sie zuerst nicht richtig verstand, und wunderte mich, dass sie wieder mit diesem religiösen Geplänkel anfing, das mich schon bei meinem Besuch bei ihr überrascht hatte.
    »Nach Franz von Assisi?«
    »Du weißt doch, wie der Bub heißt.«
    »Natürlich«, sagte ich, obwohl ich in Wirklichkeit nicht sicher war, ob ich seinen Namen noch gewusst hätte. »Wenn du willst, kannst du ihn jederzeit mitbringen.«
    Das bot ich ihr an, und weil die Vorstellung, ihn in meiner Nähe zu haben, alles andere als Begeisterung bei mir auslöste, bereute ich es im nächsten Augenblick auch schon.
    »Er liebt die Natur, und die frische Luft würde ihm guttun«, sagte sie voller Überschwang. »Du könntest der Mann in seinem Leben sein. Ich bin sicher, er würde es hier draußen mögen. Du musst mir nur etwas versprechen.«
    Ich sagte nichts, und sie lächelte vage.
    »Versprich mir, dass du keinen Bombenbauer aus ihm machst.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Versprich es mir«, sagte sie. »Keine Experimente.«
    Ich war so perplex, dass ich sie nur fragend ansah.
    »Keine Bücher, die er unbedingt lesen muss. Keine Theorien über Sinn und Unsinn des Lebens. Keine unnötigen Kompliziertheiten, wenn im Grunde alles einfach ist.«
    Es hätte wohl witzig sein sollen, und ich wollte ihr den Gefallen tun zu lachen, aber es gelang mir nicht recht, weil ich nicht davon absehen konnte, was sie mir damit unterstellte. Ich hätte mich dagegen verwahren müssen, aber ich
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