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Ein Zirkus für die Sterne

Ein Zirkus für die Sterne

Titel: Ein Zirkus für die Sterne
Autoren: Barry B. Longyear
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Zirkusleute seit ungezählten Jahren zu den Uneingeweihten sagen: »Es ist eine Krankheit.«
    Mitglieder eines Wanderzirkus’ haben keine fertige Antwort darauf, warum sie unterwegs sind. Fragenstellen ist Kopfarbeit, und die Antworten – falls es welche gibt – liegen unter Schminke, Schweiß, Narben und Schmerz tief darin verborgen, was man eine Seele nennt. Ein Fahrender fährt. Das ist seine Bestimmung.
    »Vielleicht sollten wir fragen, warum.« O’Hara ließ die Hände sinken, trocknete die Wangen an seinen Ärmeln und musterte das leere Innere seines Wagens. Er stemmte sich hoch, stand auf, ging um seinen Schreibtisch an die Wagentür. O’Hara spürte seine Jahre, und Wellington war schon der Patch bei O’Hara’s Greater Shows gewesen, als des Direktors Vater Direktor gewesen war. O’Hara strich sich über den weißen Bart und murmelte: »Anscheinend sind wir alle über unsere beste Zeit hinaus.«
    Er stieß die Tür auf und atmete tief den Geruch des Platzes ein. Es war eine sonderbare Mischung aus Gras, Stroh, Zuckerzeug und wilden Tieren. Der Staub vom Nachmittag war aus der Luft, und Schärfe lag um die bunten Lichter, die noch an den Ständen und am Stallzelt hingen. Die Blaskapelle stimmte den Walzer an, der das Zeichen für die Trapezkünstler war und gleichzeitig die sechsundvierzigste jener Minuten anzeigte, die dem Zirkus noch vergönnt waren. Für O’Hara war es ein merkwürdiges Gefühl, diesen Walzer zu hören und zugleich das Stall- und Kinderzelt zu sehen. An einem gewöhnlichen Abend wären sie bei Walzerbeginn schon abgebaut, verladen und auf dem Weg zum nächsten Platz gewesen. Die Zeltarbeiter standen bereit, um das Spielzelt auszuräumen und abzubrechen, kaum daß der letzte Zuschauer gegangen war.
    O’Hara stopfte die Hände in die Jackentaschen, stieg aus dem Bürowagen und richtete seine Schritte auf eine kleine Gruppe Zeltarbeiter, die neben einer fahrbaren Höhle vor dem Tierzelt stand. Als er sich näherte, trat einer der starken Männer vor. »’n Abend, Direktor!«
    O’Hara blieb stehen und nickte dem kräftig gebauten Mann in kariertem Hemd und Overall zu. Das Gesicht des Mannes wurde von der Krempe seines schweißfleckigen Hutes überschattet. »Tölpel Joe.«
    »Irgendwas Neues, Mr. John?«
    O’Hara senkte den Blick und schüttelte langsam den Kopf: »Sieht aus, als säße der Karren im Dreck. Diese Umweltbeamten sagen, daß sie die Tiere beschlagnahmen und festhalten werden, wenn wir die Distriktgrenze überschreiten.«
    Tölpel Joe riß den Hut vom Kopf, warf ihn zu Boden und rammte die Hände in die Taschen seiner Arbeitshose: »Verdammt!« Er blickte den Direktor düster an: »Kann der Patch es nicht doch einrenken?«
    O’Hara zuckte die Schultern: »Ich würde nicht draufzahlen. Diesmal nicht. Habt ihr den Zeltboß gesehen?«
    Tölpel Joe bückte sich, hob seinen Hut auf und streckte die Hand beim Aufrichten in Richtung des Menageriezeltes aus: »Sie kennen Entenfuß – er wird drinnen bei den Bullen sein.« Der Zeltarbeiter warf seinen Hut ein zweites Mal zu Boden: »Warum mußten wir ausgerechnet hierher kommen?«
    O’Hara legte eine Hand auf die Schulter des Mannes. »Wir sind am richtigen Ort, Joe, nur sind wir ungefähr hundert Jahre zu spät gekommen.« Er zog die Hand zurück, drehte sich um und ging durch die Dunkelheit auf den Eingang zum Stallzelt zu. Am Ende des Zeltes konnte er im schwachen Licht der Hilfsbeleuchtung die acht Elefanten sehen, die bedächtig ganze Wagenladungen Heu aus großen Ballen zupften und kauten. Lolita stellte die Ohren auf, als sie ihn erkannte, hob den massigen Kopf, senkte ihn wieder und tat, als ob sie ihn nicht gesehen hätte. Er trat in das Zelt, nickte dem Zeltboß und dem Stallmeister zu, die mitten im Zelt auf umgedrehten Eimern hockten, blieb mit dem Rücken zu Lolita stehen, und schon spürte er, wie Lolitas Rüssel in seine Tasche glitt, die Tüte mit den Erdnüssen, die er immer bereit hielt, faßte und ihm sachte entwand.
    Er drehte sich um und sah den Elefanten an. »Was war denn das?« Lolita verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere und schüttelte den Kopf. O’Hara langte in seine Jackentasche und verzog das Gesicht. »Ich könnte schwören, daß ich Erdnüsse bei mir hatte!« Er blickte den Elefanten finster an. Lolita schüttelte den Kopf noch einmal, und als O’Hara ihr den Rücken zukehrte und ging, fegte sie mit dem Rüssel durch das vor ihr liegende Stroh, hob die Erdnußtüte auf und
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