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Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Titel: Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
Autoren: Ben Aaronovitch
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Jugendamt verantworten müssen. Seither trug sie ihren wachsenden Afro in einer Art Kugel auf dem Hinterkopf. Da die nicht in die Kapuze ihrer pinkfarbenen Winterjacke passte, trug sie eine gigantische Rasta-Mütze, mit der sie aussah wie ein rassistisches Klischee aus den Siebzigern. Meine Mum hält Abigails Haare für ein öffentliches Ärgernis, aber immerhin schützte die Kopfbedeckung ihr Gesicht einwandfrei vor dem Nieselregen.
    »Was ist mit dem Jaguar passiert?«, fragte Abigail, als ich ihr die hintere Tür aufmachte.
    Mein Boss besitzt einen originalen Jaguar Mark 2 mit 3,8-Liter-Hubraum, der, weil ich ihn ein paarmal im Innenhof geparkt hatte, bereits Eingang ins Reich der örtlichen Sagen und Mythen gefunden hatte. Einen Oldtimer dieser Klasse findet selbst die Jugend des digitalen Zeitalters noch cool – der knallorange Ford Focus ST, in dem wir gekommen waren, galt hingegen nur als schlappe Assi-Karre, in einschlägigen Kreisen auch als Asbo bekannt.
    »Der ist tabu«, sagte Lesley. »Bis Peter den Polizei-Fahrlehrgang gemacht hat.«
    »Weil du neulich den Rettungswagen in der Themse versenkt hast?«, fragte Abigail.
    »Ich hab ihn nicht in der Themse versenkt.« Ich lenkte den Asbo auf die Leighton Road und brachte die Rede schnell wieder auf das Gespenst. »Wo in der Schule spukt es denn?«
    »Nicht in der Schule. Darunter. Wo die Bahnschienen sind.«
    Die Schule, von der sie sprach, war die Gesamtschule Acland Burghley, in der schon zahllose Generationen vonBewohnern des Peckwater Estate geschmachtet hatten, einschließlich meiner Wenigkeit. Wobei »zahllos« nicht ganz stimmt, weil die Schule erst Ende der sechziger Jahre erbaut wurde – also sagen wir mal, vier. Maximal.
    Die Schule lag ein Stück den Dartmouth Park Hill hinauf. Entworfen hatte sie offensichtlich ein glühender Bewunderer von Albert Speer – insbesondere von dessen festungstechnischen Monumentalwerken am Atlantikwall. Mit ihren drei Türmen und den dicken Betonwänden war die Schule bestens geeignet als Befestigungsanlage für die strategisch wichtige fünfstrahlige Kreuzung am Tufnell Park, denn von hier aus hätte man jede anstürmende Schwadron der Islingtoner leichten Infanterie mühelos von der Hauptstraße fegen können.
    Ich parkte in der Ingestre Road, hinter dem Schulgelände, und wir gingen knirschend den Schotterweg entlang, der zur Fußgängerbrücke über die Eisenbahnlinie führt. Die Linie besteht aus zwei Doppelgleisen, von denen das hangabwärts gelegene Paar mindestens zwei Meter tiefer verläuft als das andere, so dass wir auf der alten Brücke erst mal zwei rutschige Treppenabschnitte überwinden mussten.
    Vor uns lag die Betonplattform, die man über die Bahntrasse gebaut hatte, um darauf die Sportanlagen und den Spielplatz der Schule unterzubringen. Die beiden so entstandenen Unterführungen wirkten von der Fußgängerbrücke aus (ganz im Einklang mit der übrigen Architektur) wie die Eingänge zu zwei U-Boot-Bunkern.
    Abigail deutete auf den linken Tunnel. »Da unten.«
    »Du bist zu den Gleisen runtergeklettert?«, fragte Lesley streng.
    »Ich war vorsichtig.«
    Das beruhigte weder mich noch Lesley. Bahngleise sind tödlich. Jedes Jahr kommen etwa sechzig Leute zu Tode, weil sie leichtsinnig irgendwelche Bahngleise überqueren. Der einzige Lichtblick dabei ist, dass dafür die BTP – die British Transport Police – zuständig ist und nicht ich.
    Ein anständig ausgebildeter Polizist muss, bevor er etwas so Idiotisches tut wie ein Eisenbahngleis zu betreten, geschwind eine Risikoanalyse durchführen. Das korrekte Vorgehen wäre gewesen, qualifizierte Unterstützung von der BTP anzufordern, die sodann – eventuell – das Gleis sperren würde, damit ich und Abigail, Verzeihung: Abigail und ich, in Ruhe auf Gespensterjagd gehen konnten.
    Die BTP nicht anzufordern hatte den Nachteil, dass, falls Abigail etwas passierte, meine Karriere zu Ende wäre und, da ihr Vater zum alten Schlag westafrikanischer Patriarchen gehörte, mein Leben wahrscheinlich auch. Sie anzufordern hatte hingegen den Nachteil, dass ich ihnen würde erklären müssen, wonach wir suchten, und mich so zum Objekt allgemeiner Belustigung machen würde. Wie jeder junge Mann seit Anbeginn der Zeit zog ich die tödliche Gefahr der sicheren Blamage vor.
    Lesley meinte, wir sollten wenigstens zuerst den Fahrplan konsultieren.
    »Es ist Sonntag«, sagte Abigail. »Die machen heute den ganzen Tag Gleisarbeiten.«
    »Woher weißt du das?«, wollte
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