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Ein tüchtiges Mädchen

Ein tüchtiges Mädchen

Titel: Ein tüchtiges Mädchen
Autoren: Berte Bratt
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sich einschaltete und den Begebenheiten Vorgriff.
    Und, verstehe, Gerd, wenn das Schicksal einem hinhält, was man sich am meisten auf der Welt wünscht, es mit gebefreudigen Händen reicht, dann ist es unmenschlich zu verlangen, daß man nein sagt.
    Kleine Gerd, kleine, geliebte, ehrliche Gerd, Du bist nicht nur ein ehrlicher Mensch, Du hast auch Herz und menschliches Verstehen. Versuche mich zu verstehen.
    Und vergiß nicht, Gerd: Es ist ein freier Mann, der Dir dies schreibt, der Dir sein ganzes Herz, seine ganze Zukunft, die ganze Seele und seine unendliche Liebe zu Füßen legt.
    Noch etwas sollst Du wissen, Gerd. Ich bin Erna nie so nahe gewesen wie Dir. Nie habe ich mit ihr das erlebt, was Du und ich zusammen erlebt haben.
    Mein Mädchen. Meine über alles Geliebte.
    Antwortest Du mir auf diesen Brief? Du kannst mich immer über die Adresse der Reederei erreichen. Und sollte sonst noch etwas sein, so weißt Du, daß wir Funk an Bord der ,Babette’ haben.
    Aber – wenn ich nichts von Dir hören sollte, so werde ich mein Versprechen halten und Dich nie mehr belästigen.
    Kleine Gerd, ich liebe Dich.
     
    Helge.“
     
     
    Gerds Tränen strömten. Sie saß da, den Brief an sich gedrückt, sie küßte Helges Namen. Sie trocknete die Tränen, las erneut, stutzte plötzlich und sah auf das Datum.
    Was war das? Der Brief war schon einen Monat alt? Einen Monat alt??
    Er war auf Hotelpapier geschrieben, trug die Adresse eines Hotels, das gleich beim Hauptbahnhof lag.
    Sie sah auf den Umschlag. „Oslo - Elisenbergveien“ stand auf dem Poststempel. Elisenbergveien? Nie im Leben wäre Helge bis nach Frogner gefahren, um den Brief dort in den Kasten zu werfen.
    Der Umschlag war mit der Maschine geschrieben. Nun ja, das war zu verstehen. Aber… aber… Gerd betrachtete die Aufschrift genau. Das kleine e hatte die Tendenz, ein wenig über die Linie zu hüpfen. Wo hatte sie das schon früher gesehen?
    Sie suchte mit zitternden Händen Briefe von Myrseth und Sohn hervor. Richtig!
    Sie studierte und verglich. Als sie endlich aufblickte, war sie sich darüber klar, daß der Umschlag auf einer Maschine von Myrseth und Sohn geschrieben worden war.
    Und ebenso klar war sie sich darüber, daß es ein Glück für Fräulein Genz bedeutete, jetzt außer Reichweite zu sein.
    Hätte Gerd sie in diesem Augenblick zu fassen kriegen können, so würden am nächsten Tag die Zeitungen eine erschütternde Notiz gebracht haben über eine Rauferei mit Körperverletzung zwischen zwei jungen Bürodamen.
    Gerd las den Brief erneut, diesmal etwas ruhiger. Und dann kam Solveig.
    „Gerd, kann ich etwas für dich tun?“
    Gerd stand auf und faßte die Hände ihrer Schwester. „Ja, Solveig. Ich muß wissen, wo der Dampfer ,Babette’ zur Zeit ist. Und dorthin muß ich heute noch reisen, jetzt gleich, selbst wenn er sich im Fernen Osten befindet.“
    „Aber Gerd, bist du denn…“
    „Nein, ich bin nicht hysterisch, auch nicht verrückt, ich muß nur wissen, wo die ,Babette’ ist. Solveig, das muß ich wissen – ich muß!“
    Solveig war nicht auf den Kopf gefallen.
    „Wozu gibt es Telefon im Hause?“ fragte sie. „Ich werde das für dich erledigen.“
    Schon an der Tür, blieb sie nochmals stehen.
    „Wie heißt er?“
    „Jerven, Kapitän Helge Jerven.“
    Ein Strahl der Erleichterung huschte über Solveigs Gesicht.
    „Also nicht Michael?“
    „Was? Michael? Ach Solveig!“ Jetzt lächelte Gerd durch Tränen. „Gott segne dich, Solveig, und nimm ihn, nimm ihn! Denk mal, wie schön das sein wird für eine bescheidene kleine Kapitänsfrau, sagen zu können: ,Meine Schwester, die Baronin.’“
    Jetzt war es an Solveig, rot zu werden. Sie umschlang die Schwester. „Ach Gerd!“
    Solveig hatte alles erledigt. Solveig verstand. Auf jeden Fall so viel, wie sie verstehen mußte. Solveig sprach mit Michael und seinen Eltern. Die nickten und verstanden ebenfalls. Klara wurde hinaufgeschickt, um Gerd beim Packen zu helfen. Michael füllte den Benzintank, damit er Gerd zur nächsten Stadt fahren konnte, wo der Nachtschnellzug hielt. Aber Solveigs Tun setzte allem die Krone auf.
    Sie hatte ein Blitzgespräch mit der Reederei Langedal gehabt und erfahren, daß die „Babette“ von Kristiansand - ja, ganz richtig, die Kapitän Jerven führte - morgen früh in Oslo erwartet wurde, um Apfelsinen zu löschen.
    Gerd stand am Abteilfenster und lächelte Solveig und Michael zu. Als der Zug sich in Bewegung setzte, legte Michael den Arm um Solveig.
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