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Ein tüchtiges Mädchen

Ein tüchtiges Mädchen

Titel: Ein tüchtiges Mädchen
Autoren: Berte Bratt
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Beide lachten zu Gerd hinauf, und dann plötzlich küßten sie sich, direkt vor Gerds und aller Leute Augen.
    Gerd winkte und winkte. Ja, die waren glücklich, Solveig und Michael…
    Und sie selbst?
    Sie wußte, dieser prosaische Nachtzug, der vorwärts prustete, durch Schweden und über die Grenze – er trug sie auf blanken Gleisen direkt ins Land des Glücks.

20
     
     
    Es war eisigkalt und neblig.
    Die Menschen drehten sich nach dem jungen Mädchen in dem Teddymantel um. Was wollte sie denn hier unten so zeitig am Morgen, zwischen Kränen, Kisten, Ballen und Transportkarren? Bis zur äußeren Kaikante ging sie, wo viele Kisten mit Apfelsinen gelöscht wurden, goldene kleine Sonnen, Vitamin C für den kalten und langen Winter im Norden.
    Leichtfüßig kletterte sie die Gangway hinauf. Jemand kam ihr entgegen.
    „Zu wem wollen Sie?“ Dann leuchtete das Gesicht vor ihr auf.
    „Ach, guten Tag, Fräulein Elstö. Das ist aber nett! Berly hat sich mächtig über die Wäsche gefreut, das können Sie mir glauben.“
    „Guten Tag, Krauskopf. Hör mal, ist der Kapitän an Bord?“
    „Doch ja. Gerade verschwand er im Kartenhaus.“
    Gerd ging leise die steile Treppe hinauf und auf Zehenspitzen ins Kartenhaus.
    Ja – da stand er, den Rücken ihr zugewandt, über ein Papier gebeugt. Der Lärm des Ausladens hatte Gerds leichte Schritte übertönt.
    Sie schluckte und schluckte, bis der Klumpen in ihrem Hals verschwand. Dann schlich sie zu ihm und legte ihm die Hände über die Augen.
    Er blieb stehen, ganz still. Endlich kam seine Stimme, leise und sonderbar beherrscht, fast übermenschlich beherrscht:
    „Gerd.“
    Sie ließ die Hände sinken, und er drehte sich um. Sein Gesicht war blaß und hager.
    „Gerd.“
    „Helge.“
    „Gerd, kommst du, um…“
    „Um zu bleiben, Helge. Um bei dir zu bleiben.“
    „Gerd!“
    Er nahm sie in die Arme und blieb bewegungslos stehen. Ganz still. Die Sehnsucht und Ungewißheit eines Monats verschwanden, glitten von ihm ab. Der Schmerz, der Zweifel, die Angst einer Reihe schlafloser Nächte verschwanden und machten einem Glück Platz, so grenzenlos, daß es dafür keine Worte gab. Sie fühlten die gegenseitige Nähe, aber sie versuchten nicht, ihrem Empfinden Ausdruck zu geben.
    Eine große, wunderbare Ruhe überkam sie. Sie wußten, daß es vieles gab, worüber sie sprechen mußten, so vieles zu fragen und zu erklären, aber sie wußten auch, daß sie nun Zeit dazu haben würden: Sie hatten das ganze Leben vor sich.
    „Sieh mal an, jetzt sieht’s anders aus!“ sagte Direktor Myrseth, als Gerd wieder im Büro auftauchte. „So soll man nach einer Freizeit aussehen. Niemand sieht Ihnen an, daß Sie eine Lungenentzündung hinter sich haben. Sie blühen wie eine Rose.“
    „Herr Direktor, ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“
    „Mir danken? Sie spinnen wohl? Wofür sollten Sie mir denn danken?“
    „Für Ihre Geduld. Ich war doch so lange fort.“
    „Hören Sie mal gut zu: Erstens war ich mir klar darüber, daß Sie Zeit brauchten, um den Vertrag mit Baron Silfverkranz in Ordnung zu bringen. Zweitens schuldete ich Ihnen einen Urlaub. Drittens wurden Sie krank, und ich konnte unmöglich verlangen, daß Sie sich mit 40 Grad Fieber in den Zug setzten. Viertens erhielt ich für ihre lange Abwesenheit durch die fabelhafte Vereinbarung mit Silfverkranz eine großartige Kompensation. Fünftens konnte ich mich dem Eindruck nicht entziehen, daß der Baron Ihr Verbleiben auf Högalind gewissermaßen erpreßte. Verstehen Sie, ich meine, entweder mußten Sie bleiben oder es gab keinen Vertrag. Na, stimmt das nicht?“
    Gerd lächelte.
    „Doch, es ist schon etwas dran.“
    „Der Baron hat doch auch einen Sohn, nicht wahr?“
    „Das stimmt.“
    „Aha – hm – hm – “, Myrseth blinzelte Gerd zu.
    „Na, ist wohl charmant, der junge Baron?“
    „Ja, sehr.“
    „Dacht’ ich’s mir doch!“ Myrseth trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. „Das ist es also. Sie waren natürlich begeistert von ihm?“
    „O ja! Wir sind sehr gute Freunde geworden und mehr als das.“
    „Noch mehr als das?“
    Das Lachen saß Gerd in der Kehle.
    „Man kann wohl sagen, daß er mir fast ein Bruder geworden ist. Sehen Sie, Herr Direktor, er will nämlich meine Schwester heiraten.“
    „Wie bitte? Ihre Schwester?“
    „Ja, meine Schwester.“
    Myrseth sah sie mit offenem Mund an. Dann atmete er sichtlich auf.
    „Na, Gott sei Dank! Ich saß ja hier schon in Todesangst bei dem
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