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Ein Tropfen Blut

Ein Tropfen Blut

Titel: Ein Tropfen Blut
Autoren: Theo Pointner
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dabei. Und, ja, er hat mal erwähnt, dass er gelegentlich Unterlagen für die Inventur in seinem Geschäft braucht.«
    »In seinem Geschäft?«, fragte Hofmann.
    »Ich wollte nicht indiskret sein«, meinte Ritter. »Ausgehorcht haben wir unsere Kunden nie.«
    »Nun, vielen Dank, Frau Ritter. Sie haben mir sehr geholfen.«
    »Müssen Sie schon weg? Ich habe gleich Pause. Vielleicht könnten wir uns ja auf einen Kaffee oder ein Eis in die Sonne setzen?«
    Hofmanns Finger verkrampften sich um die Trageleinen der Stoffbeutel. »Vielleicht ein anderes Mal. Wenn ich noch die Kopien haben dürfte?«

39
     
     
     
    »Frau Forell, sehen Sie sich das Foto bitte in Ruhe an. Lassen Sie sich Zeit.«
    Annika Schäfer schob das Bild, auf dem Heinzel fröhlich in ein Objektiv blinzelte, vor die junge Frau und lehnte sich zurück. Durch das Fenster fiel strahlender Sonnenschein ins Büro, von der verkehrsberuhigten Zone direkt vor dem Präsidium plärrten ein paar Fahrradklingeln herauf. Eigentlich hatte die Beamtin heute noch ein wenig Sonne tanken wollen, aber die Zeiger ihrer Armbanduhr zeigten unbarmherzig, dass es bereits nach zwanzig Uhr war. Und ein Ende des Arbeitstages war noch nicht in Sicht.
    »Ich weiß nicht«, zweifelte Forell. »Der Kerl hatte doch eine Maske auf.«
    »Aber gucken Sie sich doch mal die Augenpartie an«, bat Schäfer. »Die Augen haben Sie doch gesehen, oder?«
    »Schon«, meinte Forell und konzentrierte sich wieder auf das Foto. Knapp zwei Minuten lang musterte sie das Bild des toten Polizisten, dann seufzte sie leise auf.
    »Ich bin mir nicht sicher. Er könnte es gewesen sein.«
    In Schäfers Magen zog sich ein dicker Klumpen zusammen. »Wirklich?«
    »Ich weiß es doch nicht«, stöhnte Forell und stieß das Bild zurück. »Ich weiß überhaupt nichts mehr. Ich will nach Hause.«
    Die Kommissarin sprang auf und ging um den Tisch, hinter dem die Zeugin zusammengesunken war. Schäfer hockte sich auf die Kante und legte ihre Hand auf den Unterarm der jungen Frau.
    »Alles okay?«
    »Nein«, schluchzte Forell leise. »Gar nichts ist okay.«
    »Haben Sie schon mit dem Psychologen, den wir Ihnen empfohlen haben, Kontakt aufgenommen?«, fragte Schäfer.
    »Ach, dieser Quatschkopf«, grinste Forell traurig und schüttelte den Kopf. »Das hat mir schon gereicht, als ich mit ihm am Telefon gesprochen habe. Wissen Sie, ich wurde das Gefühl nicht los, als wollte der mich abwimmeln und würde mir nur aus Höflichkeit zuhören. Oder weil er dafür bezahlt wird.«
    »Angela, natürlich wird der Mann dafür bezahlt. Aber das ist doch nicht der einzige Grund, warum er Ihnen zuhört. Er will Ihnen helfen.«
    »Hören Sie doch auf«, gewann Forells Stimme an Energie. »Wahrscheinlich nimmt der alles auf, was Frauen wie ich ihm erzählen, und wichst sich nach Feierabend einen darauf ab. Diese Schweine sind doch alle so.«
    Ein neuer Schwall Tränen brach aus Forell hervor, ihre Fingernägel gruben sich in Schäfers Handflächen.
    »Angela, glauben Sie das wirklich?«, fragte Annika leise und versuchte unauffällig, ihre Hand in Sicherheit zu bringen. »Wir können Ihnen auch eine Psychologin vermitteln.«
    »Macht das einen Unterschied?«, schluchzte Forell undeutlich.
    »Vielleicht. Nur, Sie müssen sich auch helfen lassen wollen.«
    Forell nahm den Kopf zurück und zog die Nase hoch. »Ich komm schon klar.«
    Schäfer schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
    »Sie werden es sehen«, entgegnete Forell gespielt provokant. »Tut mir Leid, wenn ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte. Ich geh jetzt nach Hause.«
    »Soll ich Sie fahren?«, bot die Beamtin an.
    »Lassen Sie nur. Ein kleiner Spaziergang wird mir gut tun.«
    Mit einem Papiertaschentuch wischte sich Forell die ärgsten Tränenspuren aus dem Gesicht, schulterte ihre Tasche und lächelte Schäfer noch einmal gezwungen an. Dann verschwand sie.
    »Scheiße«, fluchte Schäfer, als sie das Büro für sich allein hatte. Forell offenbarte alle Anzeichen dessen, was die Mediziner ›posttraumatisches Stresssyndrom‹ nannten. Die körperlichen Schäden waren in der Regel bald verheilt, die psychischen zeigten sich erst eine gewisse Zeit nach der Tat. Und wenn man nichts dagegen unternahm, konnte sich das um vieles schlimmer auswirken als eine körperliche Behinderung.
    Nur, zwingen konnte man Angela Forell nicht, die Hilfe eines Fachmannes oder einer Fachfrau in Anspruch zu nehmen.
    Die Beamtin rutschte vom Schreibtisch und streckte sich. Da hatten es die
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