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Ein Tropfen Blut

Ein Tropfen Blut

Titel: Ein Tropfen Blut
Autoren: Theo Pointner
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Haaren nach oben und flüsterte ihr zu, dass sie die Augenbinde erst abnehmen dürfte, wenn sie den Bulli nicht mehr hören könnte.
    Noch während sie nickte, öffnete er die Seitentür, zerrte sie auf die Beine und gab ihr einen Stoß in den Rücken. Sie landete unsanft im Straßengraben. Ihr rechtes Knie stieß gegen einen Stein, sie stöhnte auf. Langsam rappelte sie sich hoch, während der Motor des VWs hinter ihr aufbrüllte und die Reifen quietschend durchstarteten.
    Die Ermahnungen, die Augenbinde nicht zu früh abzunehmen, hätte sich der Typ sparen können. Das Tuch war so fest um ihren Kopf gewickelt, dass ihre Finger Schwierigkeiten hatten, den Knoten zu lösen. Mit dem Knebel im Mund ging es einfacher.
    Angela fand sich etwa hundert Meter vom UCI entfernt wieder, dem gewaltigen Kinokomplex am Ruhr-Park. Von den riesigen Parkplätzen fädelten gerade einige Fahrzeuge auf die Ausfallstraße ein und kamen auf sie zu, aber sie beachtete sie nicht.
    Neben ihr im Straßengraben lag ihre Handtasche mit der Geldbörse, ihrer Monatskarte für den Nahverkehrsverbund, ihren Papieren und dem Hausschlüssel. Wie betäubt lief sie zum Einkaufszentrum hinüber, bis sie die Haltestelle erreicht hatte. Einige Leute im Bus hatten zwar ihre vom Sturz staubige Kleidung und die Schürfwunde am Knie bemerkt und sie unbehaglich gemustert, aber niemand hatte etwas gesagt. Angela fuhr bis zum Bochumer Hauptbahnhof, stieg um und erreichte schließlich ihre kleine Wohnung. Und hier war sie sofort in die Wanne gestiegen.
    Der Gedanke, zur Polizei zu gehen, kam ihr erst in der Nacht, nachdem sie sich schon ein paar Stunden schlaflos unter ihrer Decke gewälzt hatte.
    Nein, auf gar keinen Fall! Nicht alles erzählen müssen, nicht in allen Einzelheiten schildern, was dieses Schwein mit ihr…
    Das Wasser wurde schon wieder zu kalt. Der Hebel stand noch im roten Bereich, mit den Zehen stöpselte sie erneut den Abfluss auf.

2
     
     
     
    Noch fünfzehn Minuten.
    Lockes rechte Hand glitt von seinem Oberschenkel hinunter zu der Ablage zwischen den Sitzen, mit Daumen und Zeigefinger angelte er eine Zigarette aus der Plastikbox und beförderte sie zwischen die Lippen. Er ließ das schäbige Plastikfeuerzeug aufblitzen und hielt die Flamme an die Spitze seiner Kippe.
    Die ersten blauen Schwaden zogen durch das halb heruntergekurbelte Seitenfenster nach draußen. Mit einem flüchtigen Blick checkte er erneut die Digitaluhr auf der Mittelkonsole. Immer noch fünfzehn Minuten.
    Seufzend streckte er die Beine in den Fußraum und rutschte ein wenig tiefer in den Sitz. Er schielte über die Straße. Das Neonlicht über dem Eingang zu Achmeds Schuppen war noch aus. Die Bar öffnete erst um einundzwanzig Uhr. Zeit genug, um noch nervöser zu werden, als er sowieso schon war.
    Er schnippte das kleine Aschehäubchen durch das Fenster. Wohl zum zehnten Mal heute Abend strich er über das Revers seines Jacketts. Unter dem dünnen Stoff der Sommerjacke spürte er deutlich, was er dort erwartet hatte. Die Innentasche war noch genauso prall gefüllt wie vor einer halben Stunde, als er seine Wohnung verlassen hatte.
    Seufzend drehte er den Schlüssel im Zündschloss eine Stufe nach vom, sofort glomm die Kontrollleuchte für die Batterie auf, das Autoradio sprang an. Aus den Boxen hörte er wie durch einen Schleier die enthusiastischen Schilderungen eines schwitzenden Reporters. Klar, Fußball, die Europameisterschaft lief ja schon. Für einen winzigen Augenblick konzentrierte Locke sich auf das Gebrabbel, aber dann hörte er schon nicht mehr hin. Deutschland war erst in ein paar Tagen wieder dran. Vielleicht würde er sich die Schlacht gegen England sogar im Fernsehen anschauen.
    Vor seinem Astra schob sich ein feister Rentner über die Straße, zwei Flaschen Pils in der linken Hand, und kramte seinen Hausschlüssel hervor. Scheinbar hatte er den Anstoß verpasst und beeilte sich jetzt, wenigstens den Rest des Fußballspiels verfolgen zu können.
    Locke schnaubte verächtlich durch. Diese Wichser!
    Kassierten einmal im Monat ihr spärliches Ruhegeld, kurbelten den Umsatz der umliegenden Kneipen an und nörgelten den ganzen Tag an ihrer Alten herum. In Lockes Augen waren diese Männer wandelnde Leichen, die die Bestatter bisher übersehen hatten. Leben konnte man das doch wirklich nicht mehr nennen.
    Dieser Knilch in der Bank heute Nachmittag war auch so ein Typ gewesen. Das Milchgesicht über der schlecht gebundenen Krawatte hatte ihn neidisch
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