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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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obenhin.
    Mr. Thipps erbleichte ob dieser grausigen Anspielung. »Danach habe ich Inspektor Sugg nicht fragen hören«, sagte er ziemlich erregt. »Das wäre ja ganz fürchterlich. Gott steh uns bei, Mylord, auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen.«
    »Na ja, wenn dort ein Patient fehlte, hätte man es inzwischen wohl bemerkt«, sagte Lord Peter. »Nun sehen wir uns diese Leiche hier mal an.«
    Er klemmte sich sein Monokel vors Auge und fuhr fort: »Wie ich sehe, weht Ihnen hier der Ruß herein. Sehr ärgerlich, nicht? Bei mir ist das auch so - macht mir alle Bücher kaputt. Lassen Sie, bemühen Sie sich nicht, wenn Sie lieber nicht hinsehen möchten.«
    Er nahm das Laken, das man über die Wanne gelegt hatte, aus Mr. Thipps' zögernder Hand, und schlug es zurück.
    Der Tote in der Badewanne war ein großer, kräftiger Mann von etwa fünfzig Jahren. Sein dichtes schwarzes, natürlich gewelltes Haar war von Meisterhand geschnitten und gescheitelt und strömte einen leichten Veilchenduft aus, der in der stickigen Luft im Badezimmer deutlich wahrzunehmen war. Das Gesicht war dick, fleischig und markant; es hatte vorstehende dunkle Augen und eine lange, zu einem kräftigen Kinn hinabgebogene Nase. Die bartlosen Lippen waren voll und sinnlich, und der heruntergeklappte Unterkiefer entblößte tabakfleckige Zähne. Ein goldener Kneifer auf der Nase des Toten spottete des Todes mit seiner grotesken Eleganz; das dünne Goldkettchen lag in einem Bogen auf der nackten Brust. Die Beine lagen steif ausgestreckt nebeneinander; die Arme ruhten fest am Körper; die Finger waren ganz natürlich gekrümmt. Lord Peter hob einen Arm hoch und besah sich die Hand mit leicht gerunzelter Stirn.
    »Ganz schön eitel, Ihr Besucher, wie?« brummelte er. »Parmaveilchen und Maniküre.« Er bückte sich wieder und schob seine Hand unter den Kopf des Toten. Die komischen Augengläser rutschten herunter und fielen klappernd in die Wanne, ein Geräusch, das dem immer nervöser werdenden Mr. Thipps den letzten Rest gab. »Entschuldigen Sie mich«, flüsterte er, »mir wird ganz schwach, wirklich ganz schwach.«
    Er verzog sich, und kaum war er fort, hob Lord Peter flink und vorsichtig die Leiche hoch, drehte sie um und inspizierte sie mit schiefgelegtem Kopf, wobei er das Monokel ins Spiel brachte wie der selige Joseph Chamberlain bei der Begutachtung einer seltenen Orchidee. Dann schob er den Arm unter den Kopf des Toten, nahm das silberne Streichholzdöschen aus der Tasche und schob es dem Toten in den offenen Mund. Mit einer Äußerung, die man meist »ts-ts« schreibt, legte er anschließend die Leiche wieder hin, nahm den mysteriösen Kneifer zur Hand, betrachtete ihn, setzte ihn sich auf die Nase und sah hindurch, gab erneut die oben beschriebenen Laute von sich und setzte den Kneifer wieder dem Toten auf, um nur ja keine Spuren seines unbefugten Eingreifens zu hinterlassen, über die Inspektor Sugg sich nur ärgern würde; er legte die Leiche in ihre ursprüngliche Lage zurück, dann ging er wieder ans Fenster, beugte sich hinaus und tastete mit dem unpassenderweise hierher mitgebrachten Spazierstock aufwärts und seitwärts. Nachdem dabei offenbar nichts herauskam, zog er den Kopf wieder zurück, schloß das Fenster und ging zu Mr. Thipps auf den Flur.
    Mr. Thipps, den dieses teilnahmsvolle Interesse eines Herzogssohnes zutiefst rührte, nahm sich die Freiheit, ihm ein Täßchen Tee anzubieten, nachdem sie wieder ins Wohnzimmer zurückgegangen waren. Lord Peter, der ans Fenster getreten war, um den Ausblick auf den Battersea Park zu bewundern, wollte schon annehmen, als plötzlich am Ende der Prince of Wales Road ein Krankenwagen in Sicht kam. Der Anblick erinnerte Lord Peter an eine wichtige Verabredung, und mit einem hastig hervorgestoßenen »Um Gottes willen!« verabschiedete er sich von Mr. Thipps. »Meine Mutter läßt schön grüßen und so weiter«, sagte er, während er ihm kräftig die Hand schüttelte. »Sie hofft, daß Sie bald wieder nach Denver kommen können. Auf Wiedersehen, Mrs. Thipps!« brüllte er der alten Dame freundlich ins Ohr. »Nein danke, mein Lieber, bemühen Sie sich nicht, mich nach unten zu begleiten.« Er war keine Sekunde zu früh. Als er vor die Haustür trat und den Weg zum Bahnhof einschlug, kam aus der anderen Richtung der Krankenwagen vorgefahren, und Inspektor Sugg stieg mit zwei Konstablern aus. Der Inspektor sprach mit dem für dieses Viertel zuständigen Straßenpolizisten und schickte einen
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