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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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beschäftigt, der sich um diese Zeit gerade in Oxford nach Kräften blamierte. Peter hat sich mit seinem Vater überhaupt nie verstanden; er war ein erbarmungsloser Kritiker der väterlichen Eskapaden, und sein Mitgefühl für seine Mutter wirkte sich auf seinen Humor verheerend aus.
    Es versteht sich von selbst, daß Denver der Letzte gewesen wäre, der die eigenen Fehler bei seinen Sprößlingen geduldet hätte. Es kostete ihn ein hübsches Sümmchen, Gerald aus der Oxford-Affäre herauszupauken, und er war nur zu gern bereit, seinen zweiten Sohn mir anzuvertrauen. Mit siebzehn Jahren kam Peter sogar aus eigenem Antrieb zu mir. Ich habe ihn in vertrauenswürdige Hände in Paris gegeben und ihn angewiesen, seine Affären stets auf eine gesunde geschäftliche Grundlage zu stellen und immer dafür zu sorgen, daß sie in gutem gegenseitigem Einvernehmen und mit Großzügigkeit seinerseits endeten. Er hat mein Vertrauen voll gerechtfertigt. Ich glaube, daß nie eine Frau Anlaß hatte, sich über Peters Verhalten ihr gegenüber zu beklagen; mindestens zwei von ihnen haben später irgendwelche königlichen Hoheiten geheiratet (obskure Hoheiten, zugegeben, aber immerhin Hoheiten). Und auch hier nehme ich wieder einen Teil des Verdienstes für mich in Anspruch; mag das Material, mit dem man zu arbeiten hat, noch so gut sein, so wäre es doch lächerlich, die gesellschaftliche Erziehung eines jungen Mannes dem Zufall zu überlassen.
    Der Peter aus dieser Zeit war wirklich bezaubernd: von offenem Wesen, bescheiden, wohlerzogen und auf angenehme Art geistreich. 1909 nahm er am Balliol College das Studium der Geschichte auf, und hier wurde er nun eingestandenermaßen recht unausstehlich. Die Welt lag ihm zu Füßen, und das stieg ihm in den Kopf. Er entwickelte Allüren, legte sich ein übertriebenes Oxford-Gehabe und ein Monokel zu und posaunte seine Ansichten in die Welt hinaus, und das nicht nur im Debattierclub, aber ich muß zu seiner Ehre sagen, daß er nie versuchte, seine Mutter oder mich von oben herab zu behandeln. Er studierte im zweiten Jahr, als Denver sich bei der Jagd das Genick brach und der Herzogstitel auf Gerald überging. Gerald zeigte bei der Verwaltung seiner Güter mehr Verantwortungsgefühl, als ich ihm je zugetraut hätte; sein ärgster Fehler war die Heirat mit seiner Kusine Helen, einer knochigen, überzüchteten Puritanerin, Gräfin vom Scheitel bis zu den Zehen. Sie und Peter waren einander in herzlicher Abneigung verbunden, aber er konnte ja jederzeit bei seiner Mutter Zuflucht suchen.
    Doch dann, im letzten Oxford-Jahr, verliebte Peter sich in ein siebzehnjähriges Gänschen und vergaß schlagartig alles, was er je gelernt hatte. Er behandelte das Mädchen, als ob es zerbrechlich wäre, und in mir sah er ein gefühlloses Ungeheuer an Verderbtheit, das ihn ihrer zarten Reinheit unwürdig gemacht hatte. Ich leugne nicht, daß die beiden ein wunderschönes Paar waren, zwei Königskinder - Mondprinz und Mondprinzessin, wie die Leute sagten; Mondkälber wäre allerdings treffender gewesen. Was Peter in zwanzig Jahren noch mit einer Frau anfangen sollte, die weder Verstand noch Charakter besaß, das zu fragen schien niemandem außer seiner Mutter und mir der Mühe wert zu sein, und er selbst war natürlich hoffnungslos vernarrt. Zum Glück fanden Barbaras Eltern, sie sei noch zu jung zum Heiraten, und Peter nahm sein Examen in Angriff wie Sir Eglamore seinen ersten Drachen, legte der Dame sein   summa cum laude   zu Füßen wie ein Drachenhaupt und richtete sich auf eine tugendhafte Probezeit ein.
    Dann kam der Krieg. Natürlich wollte der junge Tölpel unbedingt heiraten, bevor er einrückte, aber seine eigene Ehrpusseligkeit machte ihn zu Wachs in andrer Leute Händen. Man machte ihm klar, daß es unfair gegenüber dem Mädchen wäre, wenn er womöglich als Krüppel zurückkäme. Daran hatte er nicht gedacht, und so beeilte er sich nun in einem Rausch der Selbstverleugnung, sie von ihrem Treueversprechen zu entbinden. Ich hatte damit allerdings nichts zu tun; so sehr mich das Ergebnis freute, so wenig gefielen mir die Mittel.
    In Frankreich machte er sich ganz ordentlich; er wurde ein guter Offizier, den seine Leute liebten. Und als er 1916 als frischgebackener Hauptmann in Urlaub kam, bitte sehr, da war das Mädchen verheiratet - mit irgendeinem Wüstling von einem Major, den sie im Lazarett gepflegt hatte und der im Umgang mit Frauen dem Motto huldigte: entschlossen zupacken und schlecht
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