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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto
Autoren: Léo Malet
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noch zu sehen. Vorher waren wir an Baracken vorbeigefahren, aus denen
jämmerliches Akkordeongejaule drang. Auch arabische Laute hatten in der Luft
gelegen; aber das überraschte mich nicht. Während in den oberen Etagen des Crépu um Benzin gefeilscht worden war, hatte ich ein wenig in den Zeitungsausgaben
der letzten Wochen geblättert und verschiedene Artikel über den Wiederaufbau
Frankreichs gelesen. Mehrere zerbombte Städte — darunter Coutances —
beschäftigten im zur Zeit blühenden Baugewerbe mehr oder weniger exotische
Ausländer: Polen, Araber, Schwarze usw.
    Im Erdgeschoß des Hotels befand sich eine
schummrig beleuchtete Kneipe. Der Wirt saß an einem Tisch und gähnte. Wir
nahmen unsere Zimmerschlüssel in Empfang. Mit ein wenig Geschick und etwas mehr
Geld entlockte ich dem Zimmermädchen, das Maître Lenormand kannte, wo der
Anwalt aus Paris sein Haus hatte. Ich schlug Marc Covet vor, eine Kleinigkeit
zu essen, einen Schluck zu trinken und dann einen Blick auf Lenormands Landsitz
zu werfen. Der Journalist war einverstanden. Der Wirt sagte uns, daß es gleich
elf sei und er seinen Laden bald dichtmachen werde. Wenn wir zurückkämen,
sollten wir nur recht laut klopfen.
    Wir hatten kaum Zeit, einen Blick auf Lenormands
Zweitwohnung zu werfen. Sie lag etwas außerhalb, und als wir uns näherten,
rollte gerade ein langer Wagen aus der Garage. Trotz der Dunkelheit erkannte
ich den Studebaker, den ich bereits vor La Feuilleraie gesehen
hatte. Die beeindruckende Limousine fuhr an unserem schäbigen Auto vorbei, ohne
es zu beachten. Ich sah in den Rückspiegel. Der Studebaker bog an der
nächsten Straßenkreuzung nach rechts ab.
    „Das ist unser Mann“, sagte ich zu Covet.
    „Verdammt!“ schimpfte mein Freund. „Wenn der
jetzt nach Paris zurückfährt, verliere ich meinen Job. Dann haben wir nämlich
unseren Ausflug für die Katz gemacht.“
    „Sie sollten sich einen Kompaß schenken lassen“,
knurrte ich. „Er hat nicht die Richtung nach Paris eingeschlagen... Möchte
wissen, warum er um diese Zeit noch eine Spritztour unternimmt... und wohin.
Wenden Sie und folgen Sie ihm, wenn Sie können. Aber unauffällig, wenn Sie das
ebenfalls können!“
    Fluchend wendete Covet. Beinahe wären wir im
Graben gelandet, aber die Crépu-e igene Klapperkiste rappelte sich noch
rechtzeitig hoch und nahm schnaufend die Verfolgung des großen Bruders auf. Wir
hatten diegleichen Chancen, Lenormand einzuholen wie die, Greta Garbo als
Anhalterin am Straßenrand aufzulesen. Vielleicht würden uns die Namen der
Nester, die durch diese Straße miteinander verbunden wurden, irgendeinen
Aufschluß geben. Der erste Wegweiser, den unsere Scheinwerfer der Dunkelheit
entrissen, kündigte an, daß es noch zwölf Kilometer bis nach Lindreville waren.
    „Auf nach Lindreville!“ rief ich vergnügt. „Dort
wohnt noch einer seiner Mandanten. Einer mit zwei Häusern.“
    „Der hat aber auch überall Mandanten“, knurrte
Covet, der sich tapfer mit der Gangschaltung herumschlug.
    Wir bogen in eine breite Allee ein. Von Zeit zu
Zeit fiel das Licht unserer Scheinwerfer in einer Kurve auf Mauerflächen oder
schlafende Bauernhöfe, die sofort wieder in der Dunkelheit verschwanden. Bald
wurde die Gegend hügelig. Wir holperten über Schlaglöcher, die Covet zu spät
bemerkte. Der Wagen gab sein Bestes, aber es reichte nicht. Soweit wir auch
blickten, die Straße blieb leer. Und dunkel. Schwarz wie die Nacht eben, eins
mit dem Himmel. Wir hatten den Eindruck, durch einen endlosen Tunnel zu fahren.
    Plötzlich, nachdem wir ein kleines Dorf und das
wütende Gebell eines Hundes hinter uns gelassen hatten, sahen wir in der Ferne
ein rotes Licht. Ich bat Covet, langsamer zu fahren. War das Lenormand? Und
wenn ja, hatte er eine Panne, oder war er schon am Ziel?
    Es war nicht Lenormand, sondern ein Bauer, der
die sechs, noch verbleibenden Kilometer bis nach Lindreville zu Fuß zurücklegen
mußte, sein Fahrrad mit den platten Reifen an der Hand. Wir nahmen ihn samt
Fahrrad mit, und als Gegenleistung erhielt ich wertvolle Informationen von ihm.
Erst einmal sagte er mir, daß vor uns ein großer Wagen — sooo lang — an ihm
vorbeigefahren sei. Wir befanden uns also auf der richtigen Spur. Dann fragte
ich, ganz interessierter Tourist, ihn über das Dorf aus. So erfuhr ich alles,
was ich über Flauvignys Häuser wissen wollte. Uber das, was am Dorfrand stand,
und über das Pappelhaus. Über Flauvigny selbst wußte der Mann nichts, hatte ihn
nie
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