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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto
Autoren: Léo Malet
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gesehen. Es war nicht ausgeschlossen, daß er noch nie seinen Namen gehört
hatte.
    Am Ziel angekommen, luden wir den Mann mit
seinem Fahrrad vor seinem Haus ab und blieben noch eine Weile im Wagen sitzen.
Covet bekam Durst und entnahm der Werkzeugkiste eine Flasche, die er „für alle
Fälle“ mitgenommen hatte.
    „Sehen wir uns das Pappelhaus doch mal an“,
schlug ich vor, nachdem wir uns noch mehr Mut angetrunken hatten. „In Paris
gibt es eine junge Frau, die davon träumt, noch einmal zwölf zu sein und auf
dem Dachboden herumzukrabbeln.“
    „Romantischer Quatsch“, murmelte der Journalist.
    Krachend legte er den ersten Gang ein. Wir
fuhren einen schmalen Weg entlang, der zum Meer führte. Er war beinahe
unbefahrbar, so tief hatten sich Radspuren eingegraben. Dann wurde er noch
enger, und wir ließen den Wagen stehen, um zu Fuß das Meer zu suchen. Es mußte
ganz in der Nähe sein. Man hörte sein dumpfes Grollen, das aus allen vier
Himmelsrichtungen zu kommen schien. Ein feuchter, salziger Wind peitschte
unsere Gesichter. Ich riß die Augen weit auf, um dieses verdammte Pappelhaus zu
entdecken. Doch die Nacht war so schwarz, daß man nichts sehen konnte.
Mitternacht. Meine Armbanduhr war sogar schon etwas weiter voraus. Schweigend
setzten wir unseren Weg fort. Der Boden unter unseren Füßen wurde weicher.
Unsere Hosen wurden von Disteln gestreift. Hecken, die uns bis hierher begleitet
hatten, wurden seltener, Bäume, die über uns gerauscht hatten, blieben hinter
uns zurück. Plötzlich, ohne zu wissen wie, standen wir oben auf einer Düne, und
vor uns lag das Meer mit seinen tosenden Wellen, die in der Dunkelheit weißlich
schimmerten. Aus der Nähe von Granville schickte ein Leuchtturm in regelmäßigen
Abständen sein Licht zu uns herüber. Gräser und Distelsträu-cher beugten sich
dem scharfen Wind. Unsere Regenmäntel klatschten gegen unsere Beine.
    Plötzlich packte Covet meinen Arm, aber ich
hatte es schon gesehen. Auf dem Stück Strand, das wir zwischen den Dünen
hindurch sehen konnten, bewegten sich mehrere Schatten.
    „Angler?“ fragte Covet ungläubig.
    „Bestimmt nicht.“
    Ich tastete mich ab und unterdrückte einen
Freudenschrei: In einer meiner Taschen befand sich noch das Fernglas, das mir
tags zuvor schon so gute Dienste geleistet hatte. Ich hob es an meine Augen,
stellte es ein und erkannte undeutlich ein kleines Schiff, das dort vor Anker
lag. Vor ihm tanzte ein Boot auf den Wellen, wohl die Verbindung zwischen
Strand und Schiff. Eine Düne verbarg seine Anlegestelle vor meinen neugierigen
Augen.
    „Schmuggler, was?“ fragte Covet aufgeregt, als
er ebenfalls durchs Glas geschaut hatte. „Das gibt immerhin ‘ne anständige
Geschichte.“
    Ohne zu antworten, nahm ich ihm das Glas wieder
ab. Vor dem dunklen Horizont zeichnete sich eine Gruppe Menschen ab. Sie gingen
gebeugt unter einer schweren Last. Der Wind trug Geräusche heran, so etwas wie
Reifenquietschen, gefolgt von einem dumpfen Knall. Die Leute verschwanden aus
meinem Gesichtskreis. Ich versuchte, so genau wie möglich den Weg zu verfolgen,
den sie eingeschlagen hatten. Hinter einer Baumreihe entdeckte ich schließlich
weitere Bäume, höher, schlanker, deren Wipfel sich leicht im Wind hin und her bogen.
Pappeln! Wo Pappeln sind, da muß auch ein Pappelhaus sein, sagte ich mir. Die
Aufregung brachte mich beinahe um!
    „Das wollen wir uns doch mal aus der Nähe
ansehen, Covet“, sagte ich, vor Neugier zitternd. „Wenn mich nicht alles
täuscht, gibt es da was Unglaubliches zu bestaunen!“
    Wir kehrten um, und als ich mir sicher war, daß
sich das Pappelhaus rechts von uns ganz in der Nähe befand, ließ ich den
Journalisten alleine zurück und schlug mich seitwärts in die Büsche. Der Himmel
hatte sich inzwischen ein wenig aufgehellt. Plötzlich tauchte das Haus vor mir
auf, eingerahmt von seinen hochaufgeschossenen Wächtern, den Pappeln.
    Es bestand aus zwei Stockwerken und dem
Dachboden. Nirgendwo wurde seine dunkle Masse von einem Lichtstrahl
durchbrochen. Die Pappeln rauschten, ein Ast knackte, aber im Haus selbst
herrschte Totenstille. Ich fing schon an zu bereuen, daß wir unseren
Beobachtungsposten auf der Düne verlassen hatten. Hier sah ich noch viel
weniger. Das Haus, ja, aber das war auch alles. Das stille, düstere, triste und
sicherlich leere Haus. Hierhin brachten die geheimnisvollen Schauerleute ihre
Kisten bestimmt nicht!
    Gebückt trat ich meinen Rückzug an. Nach ein
paar Metern richtete ich
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