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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto
Autoren: Léo Malet
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knappen
Kopfbewegung.
    „Albert wird Sie hinausbegleiten.“
    Er drückte auf einen Knopf.
    Ich schnappte meinen Hut und stand auf. Der Butler,
der mich hineingeführt hatte, erschien.
    „Bringen Sie Monsieur zu Mademoiselle Joëlle“,
befahl Gérard Flauvigny.
    „Mademoiselle ist soeben aus dem Haus gegangen,
Monsieur“, sagte der Butler.
    Flauvigny sah mich irritiert an. Ich lächelte.
    „Das kann warten“, sagte ich. „Auf Wiedersehen,
Monsieur.“
    Auf der Türschwelle drehte ich mich noch einmal
zu meinem Auftraggeber um. Es juckte mich — nur um seine Reaktion zu beobachten
— , ihn darüber aufzuklären, daß ich schon einmal in seinen Diensten gestanden
hatte, allerdings in einer anderen Funktion als der eines diskreten
Privatdetektivs. Als ich ihn jetzt so sah, verkniff ich es mir. Er saß
zusammengesunken auf seinem Thron, erschöpfter als alle Arbeiter seiner
Fabriken. Zu Beginn einer Unterhaltung konnte er noch darüber hinwegtäuschen.
Doch dann ließ seine Selbstbeherrschung nach, und die Realität kam unverkennbar
zum Vorschein.
    Der mächtige Flauvigny war am Ende.

Ein modisches Kind
     
     
    Ich stand wieder auf der sonnenbeschienenen
Straße. Pfeife im Mund und sehr nachdenklich, schlug ich die Richtung zur
nächsten Bus- oder Metrostation ein, ohne mir sicher zu sein, ob ich wirklich
eine finden wollte.
    Plötzlich tauchte neben mir ein Kabriolett mit
offenem Verdeck auf. Es war ein älteres Modell.
    „Guten Tag, Herr Privatdetektiv!“ sagte das
Mädchen (ein jüngeres Modell), das am Steuer saß.
    Von Kopf bis Fuß nach dem letzten Schrei
gekleidet, hätte die kleine Blondine eigentlich ein angemesseneres Fahrzeug
verdient. Sie trug ein Kostüm mit grünrotem Schottenmuster. Rechts und links
der Reihe von Knöpfen, die sich vollständig von ihren jeweiligen Löchern
befreit hatten, sprang mir je eine angriffslustige Brust ins Auge. Sehr
vielversprechend, wie sich das alles so präsentierte, ein wenig Haut bloßlegend
und schwindelerregende Abgründe verheißend. Hinter dem Hutschleier schimmerten
drei bunte Schmetterlinge: ein roter Mund und zwei mandelbraune, goldbewimperte
Augen.
    Dennoch hätte man nicht behaupten können, daß
sie die ganze Frische ihrer zwanzig Jahre — älter war sie bestimmt noch nicht —
ausstrahlte. In ihrem Blick lag genau die richtige Mischung von Unschuld und
Verruchtheit, die jeden Mann dazu veranlaßt, Dummheiten zu begehen. Doch, sie
sah zum Anbeißen aus; aber ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß das den Zähnen
nicht gut bekommen würde. War der Grund dafür in ihren Augen oder an ihren
Händen zu suchen? Die linke Hand ruhte auf dem Lenkrad, und die rechte
klammerte sich an den Griff der Innentür auf meiner Seite. Beide waren schlank
und wohlgeformt. Der Gesamteindruck wurde jedoch durch ungepflegte, beinahe
schmutzige Fingernägel verdorben. Der karminrote Lack war nachlässig
aufgetragen worden oder schon einige Tage alt. Jedenfalls blätterte er ab.
    Ich nahm meine Pfeife aus dem Mund und zog
übertrieben höflich den Hut.
    „Guten Tag, Mademoiselle“, grüßte ich.
    Sie schenkte mir ein breites Lächeln. Zwei Zähne
waren weniger weiß als die anderen. Doch das tat der verführerischen Macht
ihres Lächeln keinen Abbruch.
    „Waren Sie bei Papa?“
    „Weiß ich nicht. Wer ist Papa?“
    „Ich heiße Joëlle Flauvigny.“
    „Oh!“ Ich lieferte ihr den Beweis dafür, daß
auch ich meinen Zahnarzt verhungern ließ. „Ja, ich war soeben bei Papa“, fügte
ich hinzu.
    Wir befanden uns auf dem besten Wege, viel Spaß
miteinander zu haben. Sie lachte offen heraus.
    „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen oder ich
Sie? Entschuldigen Sie, aber ich hab den Eindruck, daß Sie sich über mich
lustig machen. Reden Sie immer so? Da ist Stottern ja nur halb so schlimm...
Was normalerweise eine Minute dauert, nimmt bei Ihnen wohl Stunden in
Anspruch... Gott sei Dank scheinen Sie jemand zu sein, in dessen Gesellschaft
man sich wohl fühlt.“
    Ich wehrte ab:
    „Schmeichlerin! Ich bin eher ein schüchterner
Mensch. Gleich werd ich noch rot.“
    „Das steht Ihnen bestimmt ausgezeichnet“, erwiderte
sie, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt. „Ich freue mich wirklich, Sie
getroffen zu haben.“
    „Ich mich auch.“
    „Warum?“
    Ich gab keine Antwort, sondern konzentrierte
mich darauf, sie mit meinen Blicken auszuziehen. Nur den Hutschleier ließ ich
ihr. Sie klimperte mit den Wimpern, sah nach vorne und betrachtete die Straße
durch die
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