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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto
Autoren: Léo Malet
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Dann ist er wieder ins Quartier Latin zurückgekehrt, und da muß es
angefangen haben... Mit seinem schlechten Umgang und all dem.“
    „All dem was? Ist eine Frau im Spiel?“
    „Ich habe nicht die geringste Ahnung... Am
darauffolgenden Sonntag ist er nicht gekommen, und am letzten Wochenende auch
nicht. Sie müssen aber nicht glauben, daß er verschwunden ist“, fügte er hinzu.
„Seine Schwester hat ihn in der Zwischenzeit gesehen, und danach hat sie mir
ihre Vermutungen mitgeteilt.“
    „Nämlich?“
    „Schlechter Umgang... Er treibt sich ständig im Antinéa rum. Konkreter ist sie nicht geworden... Und vielleicht hat sie alles nur
erfunden...“
    Offensichtlich hoffte er das.
    „Sie ist... äh... mythomanisch, haben Sie
gesagt?“
    „Wie ihre Mutter, ja... Unehrlich und bösartig.“
    „Könnten Sie für mich ein Treffen mit Ihrem
Fräulein Tochter arrangieren? Ich hab gewisse Erfahrungen mit Lügnern...“ Weil
ich so oft in den Spiegel sehe, fügte ich innerlich hinzu. Doch das sagte ich
nicht laut. Zwanzigtausend Francs warteten darauf, in meine Tasche zu wandern.
Das wollte ich mir nicht verscherzen. „Ich benötige nur wenige Minuten, um mir
ein Bild zu machen.“
    „Sie können meine Tochter gleich kennenlernen.
Joëlle wohnt hier. Doch ich glaube, Sie kommen der Wahrheit besser und
schneller auf die Spur, wenn Sie ins Antinéa gehen und meinen Sohn
beobachten.“
    „Natürlich“, stimmte ich ihm zu. „Würden Sie mir
die Adresse Ihres Sohnes in Paris geben?“
    „Rue Tournefort 22a.“
    „Und das Antinéa ?“
    Er machte eine unbestimmte Handbewegung.
    „Dort ganz in der Nähe. Wird nicht schwer sein,
es zu finden.“
    „Nein“, sagte ich, „das wird nicht schwer sein.“
    „Stecken Sie’s ein“, forderte er mich auf, indem
er die Geldscheine zu mir herüberschob. „Stecken Sie’s ein und geben Sie Ihr
Bestes.“
    Ich legte das Geld in meine Brieftasche, die
sich stolz aufblähte. Ich verstaute sie an meinem Herzen und machte Anstalten,
mich zu erheben.
    „Einen Moment noch!“ bremste mich Flauvigny,
plötzlich mißtrauisch geworden. „Joëlles Mutter log bei jedem Atemzug. Möchten
Sie nicht wissen, welche unangenehme Eigenschaft Rolands Mutter besaß?“
    „Rolands Mutter?“
    „Meine Kinder entstammen nicht derselben Ehe.
Rolands Mutter war... äh... sehr nervös.“
    „Ja, ja.“
    „Sie verstehen?“
    „Ich verstehe.“
    „Dann verstehen Sie bitte auch das, Burma: Ich
möchte keine Scherereien. Ich kann keine mehr verkraften. Scherereien habe ich
nämlich seit acht Jahren. Krieg, Besatzung, Befreiung, das alles ist mir auf
die Beine geschlagen. Die Deutschen haben mir meine Fabriken weggenommen, und
die ,anderen“ haben sie verstaatlicht. Sicher, mir ist noch einiges geblieben,
was andere ärgert. Und genau deshalb will mir noch so mancher an den Kragen...
Leute der Industrie und der Presse...“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Sie werden keinen Ärger mehr bekommen“,
beruhigte ich den Industriekapitän. „Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Ihr
Sohn stößt sich die Hörner ab, das ist alles. Ich hab schon größere Hitzköpfe
zur Vernunft gebracht. Sie betrauen mich mit einer vertraulichen Angelegenheit.
Ihr Vertrauen ist in guten Händen. Noch heute abend suche ich Ihren Sprößling
auf, und in zwei, drei Tagen bringe ich ihn zu Ihnen zurück, brav wie ein
Engel. Dann werde ich Ihnen auch sagen können, ob es angebracht ist, ihn in
einer Ihrer Fabriken ans Arbeiten zu gewöhnen. Kommt drauf an, wie offen er für
meine Ratschläge sein wird.“
    „Sehr gut“, sagte Gérard Flauvigny. „Sie...“
    Er verstummte. Fragend hob ich mein Kinn.
    „Ach, nichts“, wehrte er ab.
    Das Bild an der Wand rechts neben ihm, auf dem
Fische abgebildet waren, schien er zum ersten Mal zu sehen.
    Er war schon drauf und dran, sich durch meine
kleine Ansprache getröstet zurückzulehnen. Doch im letzten Augenblick hinderte
sein Stolz als Generaldirektor ihn daran. Stattdessen entschloß er sich, mich
mit einem Minimum an Höflichkeit zu entlassen.
    „Halten Sie mich auf dem laufenden“, schnarrte
er.
    Wollte er wirklich auf dem laufenden gehalten
werden? Oder wollte er nur von mir hören, daß an den Vermutungen seiner Tochter
nichts dran war... selbst wenn was dran war? In dem Fall würde ich die Scherben
wieder zusammenkleben müssen. In aller Stille, diskret und schnell.
    „Sie werden keinen Ärger bekommen“, wiederholte
ich.
    Er verabschiedete mich mit einer
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