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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto
Autoren: Léo Malet
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mit der Faust auf den
Schreibtisch, wieder ganz der Chef, vor dem alles zitterte.
    „Dieses Jahr noch, dann ist Schluß!“ rief er.
„Ob mit oder ohne Examen, er wird die Universität verlassen und in einem meiner
Unternehmen arbeiten.“
    Dieser energische Entschluß ging mich eigentlich
nichts an. Worin meine Rolle in dem Generationskonflikt bestand, wußte ich
immer noch nicht. Vater Flauvigny beruhigte sich genauso plötzlich, wie er sich
erregt hatte.
    „Roland ist ein schwieriger Junge, ein wenig
labil. Er läßt sich leicht beeinflussen. Ich fürchte, er hat einen schlechten
Umgang im Quartier Latin. Er wohnt in der Nähe der juristischen Fakultät, und
seit einiger Zeit sehe ich ihn nur noch an den Wochenenden und in den
Ferien...“
    Er verstummte. Ich versuchte, ihn wieder zum
Reden zu bringen:
    „Haben Sie etwas Ungewöhnliches an ihm bemerkt?“
    „Ich nicht, nein.“
    „Wer dann?“
    „Meine Tochter. Ich weiß nicht, wie sie das
alles erfahren hat.“
    „Das alles? Was?“
    „Das über Rolands Umgang... Das mit dem Antinéa und seinen Betreibern... Aber wenn sie so eine Lügnerin ist wie ihre Mutter...“
    „Ihre Mutter war eine Lügnerin?“
    Flauvigny schwieg eine Weile.
    „Wie ich schon sagte, ich hatte nicht viel Glück
mit meinen Frauen. Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das erzählt habe, aber ich
hab’s nunmal getan...“
    „Je mehr Informationen ich besitze, desto
besser“, sagte ich. „Aber Sie können sich aufs Nötigste beschränken. Wenn ich
Sie recht verstehe, hat Ihre Tochter Ihnen berichtet, daß Ihr Sohn im Antinéa mit seltsamen Leuten zusammenkommt. Und jetzt wollen Sie wissen, ob das stimmt,
um gegebenenfalls die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Das reicht erst einmal.
Noch heute abend werde ich mich dort umsehen und Ihrem Erben aus der Patsche
helfen... falls er in irgendeiner Patsche sitzt. Und falls Sie mich engagieren,
natürlich...“
    „Hiermit engagiere ich Sie“, sagte mein
Gastgeber in einem Ton, als würde er sagen: ‚In Gottes Namen!’
    „Mein Tarif...“
    „Den bestimme ich. Und Sie werden sich nicht
beklagen können.“
    Ich gab keine Antwort. Besser, ich ließ ihm die
Illusion seiner Autorität, die mir recht angeknackst zu sein schien.
    Er nahm ein Scheckbuch zur Hand, legte es aber
wieder weg, öffnete eine Schublade und zauberte ein Bündel Banknoten hervor. Er
strich die Scheine glatt und legte sie auf den Schreibtisch, genau zwischen
uns.
    „ Zwanzigtausend Francs bekommen Sie, wenn Sie hier hinausgehen. Falls es nötig werden sollte, bekommen
Sie mehr.“
    „Sehr großzügig“, bemerkte ich.
    „Das will ich meinen. Und nun werde ich Ihnen alles
Nötige erzählen. Ich hoffe, daß Sie genauso offen und ehrlich zu mir sind wie
ich zu Ihnen. Protestieren Sie nicht!“ herrschte er mich an, als er meine
empörte Reaktion bemerkte. Ein Chef von Gottes Gnaden! „Ich habe häufig
Privatdetektive in meinen Fabriken beschäftigt. Auch wenn sie persönlich keine
Streiks angezettelt haben, so sind sie doch mit Vorsicht zu genießen. Ich kenne
die Sorte. Die geringste Unklarheit, die kleinste Unregelmäßigkeit
interpretieren sie zuungunsten ihres Auftraggebers, der sie bezahlt. Vielleicht
ist das eine bedauerliche Berufskrankheit, aber so ist es nun mal. Sie zum
Beispiel werden sich bestimmt schon gefragt haben, warum ich nicht die Polizei
eingeschaltet habe...“
    „Ich glaube nicht, daß Ihr Problem ins Ressort
der Polizei fällt.“
    „Nein, das fällt nicht in deren Ressort. Dennoch
werden Sie meinen, ich hätte aufgrund meiner gesellschaftlichen Stellung und
trotz gewisser ,Säuberungen 1 oder ähnlichem Quatsch den einen oder
anderen Freund unter den Inspektoren und Kommissaren, der genausogut wie Sie im Antinéa herumschnüffeln könnte... Nun, Sie irren sich! Ich kenne
niemanden mehr. Nirgendwo!“
    „Sie könnten aber Ihren Sohn herzitieren und ihm
eigenhändig die Ohren langziehen“, schlug ich vor, „oder ihm einen
Überraschungsbesuch abstatten.“
    „Ich bin mehr oder weniger an diesen Stuhl
gefesselt“, erwiderte er, „und bewege mich so gut wie nie von hier fort. Und
meinen Sohn ziehe ich am liebsten in meinem eigenen Hause zur Rechenschaft.
Meine Privatangelegenheiten gehen niemanden was an. Ich lege keinen Wert auf
Zeugen. Mit Ihnen ist das was anderes.“
    Ich nickte verständnisvoll.
    „Er hat seine Osterferien hier verbracht“, fuhr
er fort. „Ich habe an seinem Verhalten nichts festgestellt, was mich beunruhigt
hätte.
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