Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
hatte
anscheinend einen hohen Verschleiß an Ehefrauen. Jedenfalls war er den beiden
Damen nicht gut bekommen. Nachdem sie je einem Kind das Leben geschenkt hatten,
hatten sie ihres ausgehaucht — aufgrund eines unerbittlichen Naturgesetzes
ausgleichender Ungerechtigkeit oder so. Als Maténier sein Buch herausgebracht
hatte, war Flauvigny wieder frisch verwitwet gewesen. Mir war nicht bekannt, ob
er in der Zwischenzeit ein drittes oder gar viertes Mal in den heiligen Stand
der Ehe getreten war. Und wenn ja, ob mit demselben traurigen Ergebnis...
Beruf? Er herrschte über verschiedene Unternehmen: International-Color,
Métallyon, Centrale de Construction, Tréfileries de la Seine... Den letzten
Namen, den einer Eisenhütte, hatte ich mit leichtem Herzklopfen gelesen, oben
links, dort wo sich mein Herz und meine Brieftasche befanden. Ob das Organ oder
das Leder erregter waren, weiß ich nicht.
    Und dann hatte ich leise in mich hineingelacht. Tréfileries
de la Seine? Wie klein die Welt doch ist! So war also Flauvigny, der Mann,
der sich meiner Talente bedienen wollte, der Chef jener Eisenhütte, in der ich
früher einmal als Hilfsarbeiter wenig Geld verdient hatte? Na schön! Ich würde
versuchen, Rache zu nehmen und seine Brieftasche ordentlich zur Ader zu lassen.
Gérard Flauvigny konnte auf mich zählen.
     
    * * *
     
    So in Gedanken versunken, legte ich eine
anständige Strecke zurück, wobei ich alle fünf Minuten auf meine Armbanduhr
sah. Ich bog von einer eleganten Straße in einen Seitenweg ein, wechselte auf
eine Landstraße über, um von dort wieder in einen Feldweg mit tiefen Radspuren
einzubiegen; ich kam zunächst an einer bunt angestrichenen Villa vorbei, dann
an einer Hütte aus Teerpappe, die einen kümmerlichen Gemüsegarten bewachte.
Garantiert farbecht, hatte die „stinkvornehme“ Rue Decomble auf diesen Teil der
Vorstadt offensichtlich nicht abgefärbt. Ich mußte wohl die Grenze von Sceaux
überschritten haben und in Bagneux oder einem ähnlichen Außenbezirk gelandet
sein.
    Paris lag ganz weit hinten. Die Spitze des
Eiffelturms überragte einen Hügel. Zu meinen Füßen erstreckte sich ländliches
Gebiet, ein wenig armselig trotz eines kleinen Wäldchens, eines Gemüsefeldes,
einiger rosa- und weißblühender Bäume und zwei oder drei Gartenhäuschen.
    Am Ende des Feldwegs stand ein gedrungenes Haus
mit der Aufschrift Café-Liqueurs. Ein weiterer Blick auf die Uhr, und
ich beschloß, dort noch schnell ein Gläschen zu trinken, bevor ich wieder
kehrtmachen würde.
    Es kam mir ziemlich komisch vor, daß ich bald
einem Mann sozusagen von Gleich zu Gleich gegenübertreten sollte, der damals
die Höhe meines Lohnes bestimmt hatte. Heute würde ich es sein, der die Höhe
festsetzte.
    Ich rauchte eine hübsche Pfeife mit Indianerkopf
— das Geschenk einer Verehrerin — , während ich für meine Unterredung mit
Flauvigny eine seriöser wirkende Pfeife von klassischer, gerader Form
bereithielt, à la Sherlock Holmes, mit einem Wort: englisch.
    Plötzlich erhob sich ein leichter Wind, und ein
übler Geruch stieg mir in die Nase. Mißtrauisch schnupperte ich an dem
Indianerkopf.
    Der Gestank mußte mich verwirrt haben. Nehme ich
jedenfalls an. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber mein Komant-sche fühlte
sich wohl beleidigt oder meinte, er befände sich in den Ewigen Jagdgründen —
kurz und gut, er entglitt meiner Hand. Das würde mich lehren, meiner guten
Stierkopf-Pfeife untreu zu werden! Da ich gerade an einer öffentlichen
Mülldeponie entlangging, rutschte der untreue Indianer den steilen Abhang
hinunter — wie in einem richtigen Western! — , gesellte sich zu den
verschiedensten Abfallprodukten und ward nicht mehr gesehen. Ich dachte an die
verdammte Drecksarbeit, die nötig sein würde, um die Pfeife wiederzufinden.
Fluchend machte ich mich an den Abstieg.
    Unten lag jede Menge Müll: kaputte Dachziegel
und ebensolche Ziegelsteine, Gipsschutt, durch den drahtige Heidekrautsträucher
ihre kümmerlichen Zweige streckten, aufgeschlitzte Matratzen mit und ohne Federn,
Federn ohne Matratzen, verrostete Öfen, die aussahen wie von Motten zerfressen,
alte Töpfe, ausgemusterte Bidets... und überall dieser scheußliche Gestank.
    Auch ein Araber lag da.
    Er war so dreckig wie ein alter Kamm. Und wie
einem alten Kamm fehlten auch ihm Zähne. Der offenstehende, verzerrte Mund ließ
mich das sogleich erkennen. Der Gestank hatte nichts mit den Düften des Orients
zu tun.
    Der Araber war so tot wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher