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Ein Toter fuehrt Regie

Ein Toter fuehrt Regie

Titel: Ein Toter fuehrt Regie
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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die Tasse. Als erster trank dann Kuhring und bewertete die Qualität des Tees, dann hoben die anderen ihre Tassen.
    Nach dem ersten Bissen schluckte Kuhring seine tägliche Vitamin-Tablette. NEDO-Vit, eine bräunliche Kapsel, fast eine kleine Bombe, die gegen alles mögliche gut sein sollte. Kuhring, dessen Freund Nummer 4 im pharmazeutischen Großhandel beschäftigt war, bekam die 30er-Packungen mit 20 Prozent Rabatt, und so hatte er stets einen beträchtlichen Vorrat davon im Schreibtisch liegen.
    Heute ging alles ein wenig schneller, weil Owi ja fehlte. Sie nahmen zwar alle an, daß er wieder einmal beim Arzt steckte und sich seinen verstauchten Knöchel behandeln ließ, suchten sich aber dennoch mit klugen Vermutungen über seinen Verbleib zu übertreffen.
    «Der wird über Nacht um einen Zentimeter gewachsen sein, und das feiert er nun», sagte Zumpe.
    «Nee», sagte Brockmüller, «das nicht. Daß er feiert, da haben Sie recht, aber aus einem anderen Grund: Die Verbandszeitung Deutscher Eierkohlenhändler hat ein Gedicht von ihm veröffentlicht: O Kohle, so schwarz so gut – bald verzehrst du dich, uns erwärmend, in roter Glut…»
    Sie lachten. Vor anderthalb Jahren hatte der Tagesspiegel eine Kurzgeschichte von Owi veröffentlicht, die ein bißchen esoterisch-manieristisch geraten war.
    «Ach was», sagte Kuhring. «Den haben sie endlich gefaßt – bei seinem dritten Kindesmord. Ich hab mich schon immer gewundert, warum der Kerl jeden Tag Hackepeter auf der Stulle hatte.»
    Fräulein Lux schüttelte sich. «Er spinnt ja manchmal ein bißchen, aber so was – nein!» Sie meinte, die Jusos hätten ihn, obwohl er mit seinen 52 Jahren an sich schon etwas alt dafür sei, seiner roten Haare wegen zum Ehrenvorsitzenden gewählt.
    Damit war das Thema Ossianowski vorerst erschöpft, und man wandte sich anderen Neuigkeiten zu. Kuhring kommentierte den letzten Fernsehabend und berichtete von Verkaufsdirektor Jungbluth, der seinen nagelneuen Wagen nach zwei Kilometern gleich in Klump gefahren habe. Zumpe erregte sich erneut über den Fall seines Schwagers. Der sollte beim Innensenator vom Inspektor zum Amtmann befördert werden, war aber zwei Stunden vor Überreichung der Urkunde, dem allein entscheidenden Akt, mit einem Herzinfarkt zusammengebrochen und anschließend im Krankenhaus verstorben, so daß die Witwe nun die wesentlich geringere Pension bekam. Fräulein Lux berichtete, daß neuerdings Ganoven durch die Zentrale zogen, an die Türen klopften und dann Geldbörsen und Scheckhefte klauten, wenn niemand am Schreibtisch saß.
    Brockmüller hörte kaum noch hin. Die Tranquilizer, die er laufend schluckte, seit Annelie schwanger war, ließen ihn regelmäßig schläfrig werden, wenn er mit den anderen zusammensaß. Außerdem war er rettungslos übermüdet. Er wurde immer schläfriger, und es war herrlich, so herumzusitzen, ohne von den eigenen Gedanken gejagt zu werden. Er stellte sich vor, wie er mit Alexander oder mit Anna-Lena am Boden lag und spielte. Alles war friedlich, alles war gut. Vergessen war die Angst, es ließ sich leben in dieser besten aller möglichen Welten. Er schloß für einen Augenblick die Augen und dachte an die Adventsfeiern 1945 und 1946, wo sie auch an so langen Tischen gesessen hatten, eingesponnen in ihre Märchenwelt und glücklich über das, was auf ihrem Pappteller lag. Eine Büchse Kekse, von Amerikanern herübergeschickt, war ein unfaßbares Glück… Er öffnete die Augen wieder und träumte weiter, während die anderen durcheinanderredeten. Es war schön, hier zu sitzen und…
    Die Fensterflügel flogen nach innen, knallten gegen die Wand. Scheiben zerklirrten. Die filigrane Gardine bauschte sich wie ein Fallschirm und riß. Eine Fontäne aus Dreck und Blech schoß in den Himmel. Kuhring kippte nach hinten wie eine hölzerne Puppe.
    Brockmüller verstand es nicht.
    Dann erst das Krachen, das schmerzte, das den Kopf zersprengte. Er wurde nach hinten katapultiert.
    Heute …
    Annelie. Das Kind.
    Er stürzte noch immer und begriff zugleich, was hier geschah.
    Er schrie und hörte Schreie.

2
     
     
     
    Mannhardt wühlte in seinem Schreibtisch herum, warf abgebrochene Bleistifte, leere Kugelschreiberminen, vergammelte Plastikbeutel, zerknüllte Lottoscheine und noch andere Souvenirs dreier begeisternd schöner Dienstjahre von einer Schublade in die andere und fand dann endlich das rotweiße Blechröhrchen, das er suchte. N EDO -Med-Schmerztabletten. Wenn’s schlecht dir geht, nimm
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