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Ein Tag wie ein Leben

Ein Tag wie ein Leben

Titel: Ein Tag wie ein Leben
Autoren: Nicholas Sparks
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hätte. Ich hatte den ganzen Vormittag damit verbracht,
in den Rauchwolken, die von den anderen Tischen zu mir herüberzogen, meine Paragraphen zu pauken, als es plötzlich in Strömen zu
regnen begann. Ein eisiger Wind peitschte die Tropfen vor sich her.
Ich hatte selbstverständlich einen Schirm dabei, da ich schon mit
einem Unwetter gerechnet hatte.
    Als Jane an meinen Tisch kam, blickte ich hoch, weil ich dachte,
sie wollte mir Kaffee nachfüllen, aber dann merkte ich, dass sie ihre
Schürze unter den Arm geklemmt hatte. Sie löste das Haarband aus
ihrem Pferdeschwanz, sodass ihr die Haare in dichten Wellen über
die Schultern fielen.
    »Ich wollte Sie fragen, ob Sie mich vielleicht zu meinem Wagen
bringen könnten«, sagte sie. »Ich habe gesehen, dass Sie einen
Schirm dabeihaben, ganz im Gegensatz zu mir - und ich möchte
nicht gern nass werden.«
    Diese Bitte konnte ich ihr natürlich nicht abschlagen, also packte
ich meine Bücher ein, hielt ihr höflich die Tür auf, und gemeinsam
stapften wir durch die riesigen Pfützen. Beim Gehen stießen wir unter dem Schirm immer wieder aneinander, und während wir im strömenden Regen die Straße überquerten, erzählte sie mir, wie sie hieß
und dass sie am Meredith College studierte, einem College, an dem
nur Frauen zugelassen waren. Sie studiere Englisch, fügte sie hinzu,
und am liebsten wolle sie Lehrerin werden. Sie musste fast schreien,
damit ich sie bei dem Geprassel des Regens überhaupt verstand. Ich
sagte nicht viel, weil ich mich so darauf konzentrieren musste, den
Schirm richtig zu halten, damit sie nicht nass wurde. Als wir ihren
Wagen erreicht hatten, dachte ich, sie würde gleich einsteigen, aber
stattdessen blieb sie stehen und musterte mich prüfend.
»Du bist ziemlich schüchtern, stimmt’s?«
    Was sollte ich darauf antworten? Wahrscheinlich konnte man mir
meine Ratlosigkeit ansehen. Jedenfalls begann Jane zu lachen.
»Keine Sorge, Wilson. Ich mag schüchterne Männer.«
Dass sie es ohne mein Zutun geschafft hatte, meinen Namen herauszubekommen, hätte mir eigentlich als Fingerzeig dienen müssen,
aber irgendwie habe ich damals nicht geschaltet. Ich konnte nur einen einzigen Gedanken denken, als sie da vor mir stand, fröstelnd
und mit vom Regen verschmierter Wimperntusche, und dieser Gedanke war: Eine so schöne Frau habe ich in meinem ganzen Leben
noch nicht gesehen.
    Meine Frau ist auch heute noch schön.
Natürlich ist es jetzt eine etwas andere, sanftere Art von Schönheit,
eine, die sich mit dem Älterwerden eher noch steigert. Ihre Haut fühlt
sich unglaublich weich an, auch wenn sie nicht mehr ganz glatt ist,
sondern ein paar Fältchen hat. Um die Hüften herum ist Jane etwas
rundlicher als damals, und auch ihr Bauch wölbt sich ein bisschen,
aber wenn ich sie sehe, während sie sich im Schlafzimmer auszieht,
finde ich sie immer noch unglaublich begehrenswert.
Wir schlafen seit einigen Jahren weniger häufig miteinander als
früher, und wenn wir es tun, ist die Liebe nicht mehr so spontan und
leidenschaftlich. Aber das ist es nicht, was mir am meisten fehlt. Ich
sehne mich vor allem danach, dass Jane mich wieder voller Verlangen anschaut. Mir fehlen die einfachen Gesten und Berührungen, mit
denen sie mir mitteilen würde, dass sie immer noch gern mit mir zusammen ist und mich haben möchte. Irgendetwas, was mir zu verstehen geben würde, dass ich etwas Besonderes für sie bin.
    Über diesen und andere Wünsche grübelte ich seit dem Gespräch
mit Noah ständig nach. Wie konnte ich mein Ziel erreichen? Ja, ich
hatte begriffen, dass ich mich wieder um Jane bemühen musste, aber
das war nicht so leicht, wie ich ursprünglich angenommen hatte. Wir
kannten einander in- und auswendig, und diese Vertrautheit machte
mein Vorhaben nicht einfacher, sondern erschwerte es erheblich, wie
ich sehr bald herausfand. Unsere Gespräche beim Abendessen folgten immer demselben Muster. Jetzt dachte ich mir nachmittags spannende neue Themen aus, aber wenn ich sie dann beim Essen einzubringen versuchte, wirkten sie erzwungen und verkrampft, das heißt,
die Ansätze verliefen im Sand, und mit schöner Regelmäßigkeit landeten wir wieder bei den Kindern oder bei meinen Klienten und Mitarbeitern.
    Unser gemeinsames Leben war in ein Schema gepresst, das sich
nicht dazu eignete, die alte Leidenschaft wieder zu entfachen. Wie
gesagt - wir hatten seit Jahren separate Tagesabläufe und ganz unterschiedliche Verpflichtungen. In den
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