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Ein Tag wie ein Leben

Ein Tag wie ein Leben

Titel: Ein Tag wie ein Leben
Autoren: Nicholas Sparks
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war, als Allie krank wurde? Ich habe ihr
immer vorgelesen - weißt du noch?«
»Ja, natürlich.« Überdeutlich standen die Erinnerungen vor meinen
Augen. Noah hatte seiner Frau immer die Notizen vorgelesen, die er
vor dem Umzug nach Creekside niedergeschrieben hatte. Es war die
Geschichte ihrer jungen Liebe, und wenn er sie Allie laut vorlas, war
sie manchmal vorübergehend so klar im Kopf, dass kein Mensch sie
für eine Alzheimerpatientin gehalten hätte. Diese Luzidität hielt nie
lange an - und gegen Ende ihrer Krankheit verschwand sie vollständig -, aber die Veränderung war dermaßen frappierend, dass sogar
Spezialisten aus Chapel Hill nach Creekside gereist kamen, weil sie
hofften, aus dieser Erfahrung allgemeinere Erkenntnisse ableiten zu
können. Dass Allie manchmal aufwachte, wenn Noah ihr vorlas, war
nicht zu übersehen. Aber woran es letztlich lag, dafür fanden die Experten keine wissenschaftliche Erklärung.
»Weißt du, wieso ich es getan habe?«, fragte er mich jetzt.
»Ich glaube, ja. Es hat Allie geholfen. Und du hattest es ihr versprochen.«
»Ja, das stimmt.« Ich hörte, wie schwer ihm das Atmen fiel - seine
Lungen ächzten und quietschten wie ein altes Akkordeon. »Aber das
war nicht der einzige Grund. Ich habe es auch für mich getan. Das
können viele Leute nicht begreifen.«
Er sprach nicht weiter, aber ich spürte, dass er noch nicht alles gesagt hatte, was er sagen wollte, und wartete deshalb schweigend ab.
Während wir beide stumm dasaßen, kam der Schwan näher ans Ufer
geschwommen. Sein eierschalfarbenes Gefieder war wunderschön
gleichmäßig, abgesehen von einem dunklen Fleck auf der Brust, der
etwa so groß war wie ein Silberdollar. Sobald Noah wieder zu reden
begann, hielt der Schwan inne, als würde er seinen Worten lauschen.
»Weißt du, was mir aus den guten Tagen am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. Zwar wusste ich, dass er mit den »guten
Tagen« die seltenen Stunden meinte, in denen Allie ihn erkannte.
Aber von seinen Erinnerungen hatte er mir noch nie erzählt.
»Das Gefühl des Verliebtseins«, sagte er. »An den guten Tagen
kam es mir vor, als würden wir noch einmal ganz von vorn beginnen
und uns neu ineinander verlieben.« Er lächelte verträumt. »Das meine ich, wenn ich sage, ich habe es für mich getan. Jedes Mal, wenn
ich ihr vorlas, war es, als würde ich ihr wieder den Hof machen, und
manchmal, ganz selten, hat sie sich wieder in mich verliebt - genau
wie damals. Und das war das schönste Gefühl auf der Welt. Wie viele Menschen bekommen so eine Chance? Dass der Mensch, den sie
lieben, sich immer wieder in sie verliebt?«
Da diese Frage rhetorisch gemeint war, schwieg ich.
Die nächste Stunde verbrachten wir damit, über die Kinder und über Noahs Gesundheitszustand zu reden. Jane oder Allie kamen in
unserem Gespräch nicht mehr vor. Aber nachdem ich ihn verlassen
hatte, gingen mir seine Worte noch lange durch den Kopf. Mochten
sich die Ärzte noch so große Sorgen um ihn machen - mir erschien
Noah so hellwach wie eh und je. Und in typischer Südstaatenmanier
hatte er mir eine Antwort auf meine Fragen gegeben, ohne mich zu
zwingen, sie direkt auszusprechen. Nun wusste ich, was ich zu tun
hatte.
K
APITEL 2
    Ich musste meine Frau wieder umwerben.
Klingt kinderleicht, stimmt’s? Meine einfachste Übung, dachte ich.
Immerhin bot unsere Situation gewisse Vorteile. Erstens wohnten
Jane und ich im selben Haus. Und zweitens mussten wir nach drei
gemeinsamen Jahrzehnten nicht ganz von vorn anfangen: Wir kannten unsere jeweiligen Familiengeschichten sowie die lustigen Anekdoten aus unserer Kindheit. Wir mussten uns nicht mehr fragen, wie
wir unseren Lebensunterhalt verdienen wollten und ob unsere Ziele,
Träume und Ideen vereinbar waren. Die kleinen Peinlichkeiten, die
Paare am Anfang voreinander zu verheimlichen versuchen, waren
    längst aufgedeckt: Meine Frau wusste, dass ich schnarche - es gab
also keinen Grund, ihr in dieser Hinsicht etwas vorzugaukeln. Ich
wiederum wusste, wie sie aussah, wenn sie Grippe hatte und sich
hundeelend fühlte, und es störte mich nicht im Geringsten, wenn ihr
die Haare morgens beim Aufstehen vom Kopf abstanden.
    Ich ging also davon aus, dass es relativ unkompliziert sein würde,
Janes Liebe wiederzugewinnen. Ich brauchte doch nur das zu beleben, was uns in den Anfangsjahren miteinander verbunden hatte -
denn genau das hatte Noah immer gemacht, wenn er
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