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Ein Tag wie ein Leben

Ein Tag wie ein Leben

Titel: Ein Tag wie ein Leben
Autoren: Nicholas Sparks
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sie und ließ meinen
Blick durch den Raum schweifen. Plötzlich fiel mir auf, dass Noah
verschwunden war.
Wo steckte er? Den ganzen Abend über war er ungewöhnlich ruhig
gewesen. Womöglich war er auf der hinteren Veranda, um ein bisschen für sich sein zu können. Dort hatte ich ihn nämlich kurz zuvor
angetroffen. Dachte er an den Schwan? Oder bekümmerte ihn sonst
etwas? Es war ein langer Tag gewesen, und ich hätte ihn jetzt gern
nach Creekside zurückgebracht. Aber als ich auf die Veranda trat,
konnte ich ihn nirgends sehen.
Ich wollte gerade wieder ins Haus zurückgehen, um die Zimmer im
ersten Stock nach ihm abzusuchen, da entdeckte ich eine einsame
Gestalt am Flussufer. Ich weiß nicht, wieso mir aus der Entfernung
überhaupt etwas auffiel - vielleicht hatte ich unbewusst wahrgenommen, dass sich etwas bewegte, denn in seinem Smoking verschmolz
Noah mit der dunklen Landschaft.
Sollte ich seinen Namen rufen? Nein, lieber nicht - aus irgendeinem
Grund hatte ich das Gefühl, dass er keine Aufmerksamkeit auf sich
lenken wollte. Aber ich war neugierig, und nach kurzem Zögern
machte ich mich auf den Weg zu ihm.
Über mir leuchteten die Sterne, die Luft war abgekühlt, man atmete
die satten Gerüche des Low Country. Meine Schritte knirschten auf
dem Kies, aber schon bald ging ich über Gras. Das Gelände wurde
abschüssig, und ich hatte Schwierigkeiten, in dem dichter werdenden
Gestrüpp voranzukommen. Wie hatte Noah das geschafft? Warum
war er überhaupt hier?
Er wandte mir den Rücken zu. Ich hörte, dass er leise sprach, ein
zärtlicher Singsang. Eine Sekunde lang dachte ich, er meine mich aber das war unmöglich, denn er hatte mich ja noch gar nicht bemerkt.
»Noah?«
Erschrocken drehte er sich um. Es dauerte eine Weile, bis er mich
in der Dunkelheit erkannte, doch dann entspannte er sich.
»Ich habe dich gar nicht gehört. Was machst du hier draußen?«
Ich grinste. »Die Frage sollte ich wohl besser dir stellen.«
Darauf ging er nicht ein, sondern deutete mit einer Kopfbewegung
zum Haus. »Du hast wirklich ein grandioses Fest organisiert, ich
muss schon sagen! Du hast dich selbst übertroffen! Jane konnte vor
Glück gar nicht aufhören zu lächeln.«
»Danke.« Und nach einer kurzen Pause fügte ich hinzu: »Hast du
dich auch wohl gefühlt?«
»Ich habe mich sogar sehr wohl gefühlt.«
Wir schwiegen beide, bis ich schließlich doch meine Standardfrage
stellte:
»Wie geht’s denn so?«
»Könnte besser sein - könnte aber auch wesentlich schlechter sein.«
»Ehrlich?«
»Ja - ehrlich.«
Als er meine fragende Miene sah, fühlte er sich doch zu einer Erklärung veranlasst. »Es ist eine herrliche Nacht. Ich wollte sie einfach noch ein bisschen genießen.«
»Hier draußen?«
Er nickte.
»Warum?«
Nachträglich finde ich, dass ich es mir hätte denken können, aber in
dem Moment kam ich wirklich nicht darauf.
»Ich habe gewusst, dass sie mich nicht verlassen hat«, sagte er
schlicht. »Und ich wollte mit ihr reden.«
»Mit wem?«
Noah schien meine Frage nicht gehört zu haben. »Ich glaube, sie ist
einfach zur Hochzeit gekommen.«
Da begriff ich endlich, was er mir sagen wollte. Ich schaute aufs
Wasser, konnte aber nichts entdecken. Mir wurde ganz beklommen
ums Herz, ja, ich bekam fast Angst. Hatten die Ärzte mit ihrer Diagnose womöglich doch Recht? Vielleicht hatte Noah tatsächlich
Wahnvorstellungen - oder war die Hochzeitsfeier in seinem ehemaligen Haus für ihn eine Überforderung gewesen? Ich wollte ihn gerade
überreden, mit mir ins Haus zurückzugehen, da geschah etwas, was
mir die Sprache verschlug.
Auf dem Fluss erschien wie aus dem Nichts die Schwänin. Majestätisch glitt sie über das mondhelle Wasser, ihre Federn leuchteten wie
Silber. Ich schloss die Augen, um das Bild zu vertreiben - das konnte
nicht wahr sein, bestimmt bildete ich es mir nur ein! -, aber als ich
sie wieder öffnete, zog die Schwänin immer noch ihre Kreise, und
plötzlich musste ich lächeln. Noah hatte Recht. Ich konnte mir nicht
erklären, wie und warum sie hierher gekommen war, aber ich hatte
nicht den geringsten Zweifel, dass sie es war. Ich hatte die Schwänin
mehr als hundert Mal gesehen, und selbst aus der Ferne sah ich deutlich den kleinen schwarzen Fleck auf ihrer Brust, direkt über ihrem
Herzen.
Epilog
    Nun stehe ich auf unserer Veranda. Es ist Herbst, ich finde die kühle Abendluft angenehm belebend, und wieder einmal denke ich an
unser Hochzeitsfest. Ich sehe alles deutlich vor
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