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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz
Autoren: Jessica Thompson
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modernen Buchläden nicht fand. Bryony hielt es sich vors Gesicht, vergrub die Nase zwischen den Seiten und atmete tief ein, malte sich Erinnerungen aus, die nicht ihre Erinnerungen waren. Der Geruch eines Buches konnte mehr Geschichten erzählen als die Wörter darin.
    Sie schloss die Augen und schnüffelte wieder. Diesmal ließ sie sich von dem Rauchgeruch in ihre eigene Vergangenheit entführen. Bryony wurde ins Jahr 2002 zurückversetzt, in den Mai, in den Biergarten eines kleinen Lokals in Shoreditch. Sie hatte eine Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten wie einen Joint und aus halb geschlossenen Augen einen Mann beobachtet, der ihr gegenübersaß und den sie noch nie gesehen hatte.
    »Rauchen ist verflucht ungesund«, hatte er gesagt und einenkräftigen Zug von seiner Zigarette genommen, dann mit der freien Hand die Bierflasche gehoben, an der das Kondenswasser hinunterlief und sich auf seinen Fingern sammelte.
    Bryony war schon recht angetrunken, obwohl es noch früh war, und fragte sich, ob es ihm auffallen würde, wenn sie ihr linkes Auge mit der Hand bedeckte und ihn nur mit dem rechten ansah. Nur damit sie ihn deutlicher erkennen konnte, natürlich   … »Entschuldigung, wer sind Sie?«, fragte sie voller Angst, sie könnte vielleicht lallen.
    Der Mann vor ihr sah so gut aus, dass es ihr beinahe Angst machte, aber der viele Wein, den sie an diesem Nachmittag getrunken hatte, hinderte sie daran, das zu tun, was sie normalerweise in einer solchen Situation tat   – nämlich eine Entschuldigung zu murmeln und davonzueilen, bevor sie sich blamieren konnte. Die junge Bryony Weaver hatte kein sonderlich großes Selbstvertrauen besessen.
    Er trug sein marineblau und weiß gestreiftes T-Shirt mit ungezwungener Lässigkeit. Sein dunkelbraunes Haar war an den Seiten ganz kurz geschnitten, aber auf dem Scheitel spross es ein wenig wilder. Sein Pony war so lang, dass er zu einer Spitze zusammenlief und fast seine Augen bedeckte. Ihn umgab etwas Geheimnisvolles. Irgendwie wirkte er schmuddelig, als müsste er einmal kräftig abgeschrubbt werden. Gleichzeitig gefiel ihr die Vorstellung nicht, ihn sauberzuwaschen, so als wäre er dadurch ein wenig verdorben worden.
    Bryony lächelte breit in ihr Buch, als sie sich an den Tag erinnerte.
    Er hatte einen gewissen schurkischen Charme an sich, etwas Abenteuerliches, als wäre er in der Lage, sie zu überreden, einfach ihre Sachen zu packen, zu ihm ins Auto zu springen und mit unbekanntem Ziel loszufahren. Ein Mann musste schon ungewöhnlich sein, damit ein Mädchen so empfand.
    Bryony war einundzwanzig gewesen und mochte die Jungen von Shoreditch und ihre Pfoten, die schmuddelig waren, weil sie den ganzen Tag lang in einem verstaubten Künstleratelier irgendeine traurige, nackte Gestalt abmalten. Sie waren intelligent, aufmerksam und kreativ. Sie hatten etwas Besonderes an sich. Bryony hatte die gelackten Jungen aus der City in ihren schicken Anzügen immer verabscheut, wie sie in ihren Nachtclubs im Bankenviertel herumhingen und ein Mädchen suchten, das sie nach Hause abschleppen konnten, um sich über die bittere Einsamkeit ihres Arbeitslebens hinwegzutrösten. Sie standen für alles, was Bryony zuwider war.
    Im Rückblick fand sie das alles sehr komisch.
    Doch so sehr sie die jungen Künstler gemocht hatte, fand sie sie auch einschüchternd wegen der Art, wie sie sich kleideten und über Politik sprachen, die sie offenbar niemals wirklich verstanden. An der Universität hatte Bryony ihre zermürbende Schüchternheit nicht verloren, und jedes Mal, wenn ein gut aussehender Mann in der Nähe war, stieg ihr eine tiefe Röte in die Wangen. Dafür hasste sie sich.
    »Ich bin Max Tooley«, hatte er gesagt. Mit seinen dunkelbraunen Augen suchte er ihren Blick und nahm einen Kontakt auf, den sie als verstörend nah empfand. Ihr war dabei ein wenig, als durchfließe sie ein elektrischer Strom.
    Er hatte eine tolle Nase   … Sie hätte nicht sagen können, was an dieser Nase so gut war, aber sie war gut   – ein Hinweis auf seinen Charakter vielleicht? Aber in diesem frühen Stadium ließ sich das noch nicht sagen. Jedenfalls, die Nase war gerade, nicht zu groß, nicht zu klein. Einfach ideal.
    Max schürzte die Lippen, als denke er nach, dann blickte er auf und lächelte sie frech an. Er streckte die Hand über den verwitterten Biertisch, und dort schwebte sie einen Augenblick lang.
    Ihr fiel auf, dass an seinen Fingern keine getrocknete Farbe klebte, keine
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