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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz
Autoren: Jessica Thompson
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    Der Mann. Dieser Kerl, wer immer es war, sackte wie ein Sack Kartoffeln auf den Gehweg und krümmte sich zusammen. »Scheiße, du Arsch. Du hast auf mich geschossen   … wieso hast du auf mich geschossen?«, rief er; sein Atem rasselte.
    Keon stand nur da und starrte auf den Mann, dem das Blut aus dem Körper rann. Es bildete schon eine kleine Lache. Mageninhalt stieg Keon in die Kehle.
    Einen flüchtigen Moment lang stellte er sich vor, sie wären beim Fußballspiel samstagmorgens, und er sehe einen verletzten Fußballer an, einen Mannschaftskameraden vielleicht, der gleich wieder aufstehen würde, Schweiß auf der Stirn, und lachte, ehe er sich die Hände an den Shorts abwischte und auf den Rasen ausspuckte. Aber nein   … dieser Mann atmete schwer und unregelmäßig, als hätte er etwas im Hals, und er lag nicht auf dem grünen Gras des Sportplatzes, sondern auf einer kalten, feuchten Londoner Straße.
    Nur ein winziges Wimmern kam noch über die Lippen des Mannes, und aus seinem Mund floss noch mehr Blut auf den schmutzigen Beton.
    Keon ließ die Pistole fallen. Sie klapperte laut über den Boden. Ein paar Sekunden stand er da. Seine Sicht zuckte und sprang, als würde er Polka tanzen, und die Übelkeit übermannte ihn. Pure Panik. Seine Lunge presste ihm mit Nachdruck und lautem Keuchen die Luft aus dem Leib.
    Wie aus dem Nichts erschien eine Frau mit drahtigem Haar, schlug die Hände vor den Mund und blieb ein paar Meter entfernt stehen. Ohne ihren cremefarbenen Mantel, der unter der Straßenlaterne grellweiß strahlte, wäre sie kaum zu erkennen gewesen. Sie war aus der Dunkelheit auf eine Bühne getreten, auf der sich eine Tragödie des wirklichen Lebens abspielte. Jetzt war sie Teil des Dramas und hatte weder einen Text, den sie sprechen konnte, noch eine Vorstellung davon, wie die Szene enden würde.
    Keon drehte sich um und starrte sie an. Er atmete tief und schnell, dann blickte er wieder auf den Mann, den er vielleicht ermordet hatte. Ihre Blicke trafen sich, und ein paar Sekundenlang herrschte Verwirrung. Er konnte versuchen, den Kerl zu retten; er sah aus wie ein netter Mensch. Er wusste es nicht mit Sicherheit, aber bestimmt hatte er eine Mutter, oder eine Frau, Kinder sogar   … Der Mann klammerte sich an seinen braunen Rucksack. Er war aus Leder und sah teuer aus. Vielleicht war das ein Banker? Ein Buchhalter? Ein Anwalt?
    Doch er konnte jetzt nichts weiter tun, also rannte er, kämpfte darum, die Übelkeit und die Säure unten zu halten, die ihm in die Kehle stiegen. Er musste hier weg. Er musste von alldem weg. Weg von dem Mann, der sterbend auf der Straße lag.
    »He, du! Komm zurück!«, brüllte die Frau. Ihre Stimme war rau vom Qualm Tausender Zigaretten. Keons Beine, die jetzt vor Angst heftig zuckten, trugen ihn mit einer Geschwindigkeit in die Nacht davon, die er immer für unmöglich gehalten hatte. Jeder Schritt seiner Trainingsschuhe hallte durch die Straße und drang ihm, wie um ihn zu verhöhnen, wieder in die Ohren. Dieses Geräusch würde ihn sein Lebtag lang verfolgen und an die Nacht erinnern, in der er vielleicht mehr als nur ein Leben ruiniert hatte.
    Die Frau rannte zu dem Mann, Tränen in den Augen. In dem strömenden Regen kniete sie sich neben ihn, legte ihm die Finger auf die Brust, spürte die feuchte Wärme seines Blutes, das seine Kleidung durchtränkte. Sie hob die Finger in den Schein der nahen Straßenlaterne. Ihr Magen zog sich zusammen, als ihr Blick auf das helle rote Blut an ihren Fingerspitzen fiel.
    Der Mann griff sich in die Tasche und keuchte dabei. Die Frau sah ihn erstaunt an, als er etwas herauszog und es ihr in die Hand drückte. Sie sah sich nicht an, was sie erhielt, sie steckte es nur in die eigene Manteltasche; sie war zu sehr mit ihm beschäftigt.
    »Geben Sie das   … bitte geben Sie das   …«, stieß er hervor.
    Er konnte nicht mehr reden, und in seine Augen trat ein abwesender Ausdruck. Sie hörte nur sein angestrengtes Atmen,das immer wieder von verzweifeltem, tränenersticktem Wimmern unterbrochen wurde.
    »Bleiben Sie doch hier«, flüsterte sie und brachte ihr Gesicht näher. Sie drückte seine Wangen zwischen den Händen, als könnte sie ihn dadurch hindern, für immer in Schlaf zu fallen, und hinterließ einen traurigen Streifen aus seinem eigenen Blut auf seinen Wangen.
    Mit zitternden Händen wählte sie den Notruf. »Ja, hallo. Ich heiße Lisa. Wir brauchen dringend einen Rettungswagen. Bitte beeilen Sie sich; ich habe
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