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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz
Autoren: Jessica Thompson
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1
    Er wünschte, er hätte sich rasiert.

    Mittwoch, 1. April 2009
    Angel, Nord-London
    13 Uhr
    Mein Gott, ist sie schön, dachte Adam und spähte durch das klapprige Regal voll Kakaopulver und Zuckerpäckchen hindurch, um einen Blick auf die junge Frau zu erhaschen.
    Seit zwei Wochen kam sie regelmäßig in das Café, in dem er arbeitete, setzte sich an den runden Holztisch gleich am Fenster und schaute hinaus auf das Straßenpanorama von Londons Stadtteil Angel. Er kannte weder ihren Namen, noch wusste er irgendetwas über sie. Er konnte nicht sagen, warum, aber sie machte auf ihn den Eindruck, dass der unverbindlich freundliche Plauderton, den er den Gästen gegenüber normalerweise anschlug, bei ihr nicht gut ankommen würde.
    Sie war geheimnisvoll. Das mochte er an ihr. Ihre schöne Haut war mit Sommersprossen übersät, und im sonnigen Wetter der letzten Tage hatte sich neue, kleinere hinzugesellt, die sich wie winzige Sterne zwischen die größeren schmiegten. Ihre Augen waren von einem durchdringenden Grün, und ihre ausgeprägten Wangenknochen verliehen ihr das Aussehen eines Supermodels. Trotzdem war sie nicht zu perfekt, fand Adam: Die winzigen Lachfältchen um ihre Augen und die kleine silbrige Narbe gleich unter ihrer Unterlippe bewiesen, dass sie trotz allem sehrreal und durchaus greifbar war. Adam erschien die Unbekannte durch diese winzigen Makel nur umso schöner.
    Normalerweise band sie das kastanienbraune Haar zu einem glatten Pferdeschwanz zurück, aber heute trug sie es in einem unordentlichen Dutt, und dazu eine große Sonnenbrille, als herrschte in London glühheißer Sommer. Verdammt, sie ist der Wahnsinn, flüsterte er unhörbar vor sich hin.
    »Adam, steh nicht nur rum, okay?«, rief Tara. Er zuckte so sehr zusammen, dass er sich den Kopf am Regal stieß und alles darin ratterte, als lachte es ihn aus.
    »Sorry, Bohoss«, erwiderte er in der Stimme einer Zeichentrickfigur mit amerikanischem Akzent, die vor Sarkasmus triefte, während er von dem Regal und allem, was ihn verspottete, zurücktrat. Er stellte sich an die Spüle und tat so, als wolle er abwaschen. Er drückte ein Glas mit Kakaoresten ins warme, schaumige Wasser und sinnierte darüber, wie ein Typ wie er es jemals schaffen sollte, eine Frau wie die schöne Unbekannte mit einem vollständigen Satz anzusprechen.
    Er hatte sich schon oft ausgemalt, wie es ablaufen könnte: »Hi   … Name?   … Meiner   … Adam   … argghhh!«
    »Tisch zehn, bitte, Ad. Und beeil dich«, bellte Tara und legte ihm mahnend die Hand auf den Rücken. Manchmal hätte er ihr am liebsten gesagt, sie könnte sich den Job sonst wohin stecken, doch im nächsten Moment dachte er immer an den ständig wachsenden Stapel der Kreditkartenrechnungen in seinem Flur, und plötzlich fiel es ihm ganz leicht, den Mund zu halten.
    »Natürlich, tut mir leid«, stieß er hervor. Er wusste genau, dass an Tisch zehn die Unbekannte saß. Er hatte gehofft, sie diesmal nicht bedienen zu müssen, denn allmählich machte sie ihn nervös. Er war eben richtig in sie verknallt.
    Er schlurfte durch das Café, und er war sich dabei nur allzu bewusst, dass seine hellblauen Boxershorts vermutlich aus seiner Hose ragten. Scheiß drauf, dachte er. Wir sind in London. Wir sind jung und trendy. Wir können uns das leisten. Oder?
    »Hallo, was kann ich Ihnen bringen?«, fragte er die junge Frau und fuhr sich beiläufig durch das erst kürzlich geschnittene dunkelbraune Haar. Mit einem Mal fiel Adam das Fehlen seines vertrauten Ponys auf, und es stellte sich plötzlich ein Gefühl ein, als fehle ihm eins seiner Gliedmaßen.
    Gleichzeitig dachte er, dass sie als wunderschöne Heldin in einem alten Schwarzweißfilm ganz und gar nicht fehl am Platze wirken würde.
    Er wünschte, er hätte sich rasiert.
    Adam war sich zu allem anderen nur zu deutlich bewusst, dass er gerade eine sinnlose Frage gestellt hatte, denn er kannte die Antwort bereits. Sie bestellte jedes Mal das Gleiche, und sie sagte es ihm immer auf die gleiche Art. Die Unbekannte drehte sich ihm stets mit einem schüchternen angedeuteten Lächeln zu, das ihre geraden weißen Zähne zum Vorschein brachte. Doch mit dem Lächeln schien es ihr nie ernst zu sein   – es war eher, als wäre sie auf einen Stecker getreten, der mit den Kontakten nach oben lag, oder gegen eine Glastür gelaufen. Das war zwar sehr schmerzhaft, aber weil Leute zusahen, musste sie es mit einem Lächeln hinter sich bringen. Dann sagte sie immer: »Äh,
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