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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz
Autoren: Jessica Thompson
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hi, danke. Ja, bringen Sie mir   …«
    So fing sie immer an, dann straffte sie auf dem hölzernen Stuhl leicht den Rücken, wodurch wiederum ihr Hals anmutig gestreckt wurde und das perfekteste Schlüsselbein enthüllte, das Adam je gesehen hatte. Sie trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, als überlegte sie, was sie wollte. Er stand daneben, den Kuli auf dem Block angesetzt, der fast an seiner schwitzenden Handfläche klebte.
    »Könnte ich bitte einen koffeinfreien Latte mit einem Stück Zucker haben?«, fragte sie dann mit tieftrauriger Stimme, alskönnten alle koffeinfreien Lattes im gesamten Universum sie nicht über das hinwegtrösten, was sie so traurig machte. Was auch immer es war.
    »Mit Sahne?«, fragte er dann immer, obwohl es Sahne eigentlich nur zu Kakao gab und nicht zu Latte.
    »Nein, danke«, entgegnete sie. Sie sagte immer nein, aber er fragte trotzdem. Adam fand, dass sie die Sahne verdiente. Und die Schokostreusel.
    Sie drehte dann den Kopf und blickte aus dem Fenster. Es war immer das Gleiche. Jedes Mal.
    Die anderen Angestellten fragten ihn schon ständig, wer denn »dieses Mädchen« sei; endlich sprachen sie ihn mal auf etwas anderes an als die fortschreitende Verkalkung des Kaffeeautomaten oder die vollkommene Wirkungslosigkeit der aufgestellten Mausefalle. Sie fragten Adam, wer sie sei, die schöne Unbekannte da an Tisch zehn, die jeden Tag kam und dort stundenlang saß und mit unfassbarer Traurigkeit zusah, wie die Welt an ihr vorbeizog.

2
    Es wird ganz schön spät, oder?

    Donnerstag, 12. März 2009
    Finsbury Oark, Nord-London
    23.30 Uhr
    In der Nähe der U-Bahn-Station Finsbury Park kauerte Keon Hendry mit leicht zitternden Händen hinter einem Busch.
    Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, und er war so nervös, dass er fürchtete, jeden Moment die Beherrschung zu verlieren. Gleichzeitig merkte er aber, dass er sich vollkommen und grenzenlos lebendig fühlte.
    »Du weißt also, was du zu tun hast, alles klar?«, flüsterte Steve Jeffrey und wischte sich mit dem Ärmel seiner navyblauen nachgemachten Barbour-Jacke den Schweiß von der blassen Stirn. Seine Augen waren glasig, weil er den ganzen Abend am Spielplatz in der Nähe Gras geraucht hatte. Es war ein feuchter Frühlingstag gewesen, und bis der Regen sie verschluckte, waren die Wolken aus süßlichem Rauch davongetrieben wie Luftballons, die niemand haben wollte.
    Keon kräuselte leicht die Nase und schnüffelte die feuchte Luft. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Seine schwarze Jogginghose war ihm viel zu groß, und er zog sie hinten hoch.
    Er konnte nicht sagen, wie es überhaupt so weit hatte kommen können. In letzter Zeit gerieten die Dinge bei seinen Schulkameraden völlig aus dem Ruder. Einige von ihnen hattenschon immer Messer dabeigehabt   – aber kleine, die Sorte, die man zum Zelten mitnahm und mit denen man am Ende höchstens mal die Schnur zwischen zwei Würstchen durchtrennte. Er selbst war mit dem Springmesser, das er normalerweise in der Tasche trug, ziemlich gut vertraut. Er hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass er gar nicht mehr daran dachte, es dabeizuhaben. Aber dann waren die Klingen größer geworden   – Mütter in ganz London mussten sich gefragt haben, wohin ihre Küchenmesser verschwanden. Trotzdem hatte niemand vorgehabt, sie je zu benutzen   … oder zumindest hatte Keon das immer geglaubt. Mittlerweile fragte er sich immer mehr, ob er nicht vielleicht ein wenig naiv war. Je mehr andere Jungen auf der Straße ein Messer dabeihatten, desto eher brauchte man selber eines; und wenn sie ein größeres hatten, dann musste man sich selbst auch ein größeres anschaffen. Aber so war das moderne Leben eben. Es war nicht seine Schuld. Wenigstens sagte er sich das immer wieder, damit er überhaupt weitermachen konnte.
    Keon rückte auf dem kalten und ziemlich unbequemen Beton herum und brachte das linke Knie neben das andere, sodass er nun kniete. Einen Augenblick lang überlegte er, wie unerfreulich das Ganze war und wie gern er jetzt zu Hause sitzen und mit seiner Schwester Reb einen Film anschauen und Chips essen würde. Kurz überlegte er, wie angeekelt sie wäre, wenn sie wüsste, dass er in der Nähe der U-Bahn-Station Finsbury Park hinter einem Busch lauerte, um jemanden so sehr einzuschüchtern, dass er sich vor Angst in die Hose machte.
    »Keon? Bist du bei uns? Erde an Keon!« Fast ranzte Steve ihn an, er klang sauer. Seine Stirn hatte er vor Wut gekräuselt; weiche, weißliche Haut spannte
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