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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag
Autoren: Allison Winn Scotch
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mehr liebte als sich selbst, mehr als alles auf der Welt. Und als ich schließlich begriff, dass beides nicht stimmte, unterzog ich mich einer totalen Verwandlung. Hörte auf, daran zu glauben, dass Grenzen durchlässig sein können, hörte auf, in Farben zu sehen, fing an, nur noch Schwarzweiß zu leben. Hörte auf zu malen (für ihn), hörte auf, Musik zu machen (für mich), hörte auf, mich zu freuen, hörte auf, Freude zu spüren, hörte auf, überhaupt irgendwas zu spüren. Bis der Flugzeugabsturz all das löschte.
    Mir schwirrt der Kopf. Nein, das war vorher. Gesteh es dir ein! Ja, das werde ich tun. Es war, als Wes mir den Brief mit den Schlüsseln schickte. Das war der Moment, in dem sich alles in Bewegung setzte, der Moment, in dem ich aufhörte, wie eine Ratte im U-Bahn-Schacht ohne nachzudenken den starren Gleisen zu folgen. Ich habe Peter verlassen. Ich habe Kontakt zu Tina Marquis aufgenommen. Ich habe meine Leidenschaft zur Musik wiederbelebt. Und die Freude an dem Plus im Fensterchen des Schwangerschaftstests aus der Apotheke genossen. Nicht der Absturz hat mich verändert. Ich selbst war es. Ich . Ich war aus meiner Trance erwacht und habe den Schritt aus dem Schatten hinaus ins gleißende Tageslicht getan.
    «Ich hatte vor, das Kind zu behalten», sage ich, und sie reißt den Kopf hoch. An ihrer Schläfe pocht eine Ader.
    Sie glaubt, ich hätte ihr eine Frage gestellt. «Ich weiß es nicht. Du hast mir nicht erzählt, dass du schwanger warst.» Sie unterdrückt ein Geräusch, eine Mischung aus unterdrücktem Schluchzen und Gelächter. «Du hast es mir wahrscheinlich nicht anvertraut, weil du Angst hattest, ich würde dich zu mir nach Hause zerren und dir neun Monate lang ganzheitlichen Bio-Tee einflößen.»
    «Nein. Ich hatte vor, das Kind zu behalten», wiederhole ich mit fester Stimme. «Ich wollte die Galerie verlassen, das Kind bekommen und ein neues Leben beginnen.»
    Das muss sie erst verdauen, und ihre Augen werden feucht. Schließlich ergreift sie das Wort.
    «Also, die Galerie wolltest du definitiv verlassen. Rory und du, ihr habt nicht mehr darüber gesprochen. Die Spannung war auch so schon riesig zwischen euch.»
    «Das habe ich mir schon länger gedacht.»
    «Sei nicht sauer auf sie», beschwichtigt sie mich, weil sie meinen Unterton bemerkt. «Sie hat mir zum Beispiel nie verziehen, dass ich dich nach dem Absturz bedrängt habe, bei Peter zu bleiben. Und die Galerie? Ihr beide habt so hart dafür gearbeitet, sie konnte einfach nicht begreifen, weshalb du auf einmal alles stehen und liegen lassen wolltest, ohne Erklärung.»
    «Wieso war es all die Jahre in Ordnung für sie, dass wir mit Dads Namen unseren Lebensunterhalt verdient haben?»
    «Träume sind nun mal Träume», entgegnet sie. «Manchmal geht man Kompromisse ein, um sie zu erreichen.» Sie lässt das Kinn kaum merklich sinken und schweift mit dem Blick über die Landschaft. «Wer sich dessen noch nie schuldig gemacht hat, der hat noch nie geträumt.»

    Irgendwann kommt Rory vom Flughafen zurück, und als klarwird, dass keiner von uns vorhat, die Veranda zu verlassen, setzt sie sich zu uns. Ich hocke zusammengesunken auf der Treppe, meine Mutter dahinter auf der Bank, und die Stille zwischen uns könnte man fast als friedlich bezeichnen. Als Rory sich neben mich auf die Stufen sinken lässt, hätte ich sie am liebsten geschlagen, aber dann meldet sich eine klügere, nachsichtige Stimme in mir, eine ohne scharfe Kanten – mein neues neues Ich –, und fragt: Wozu eigentlich ?
    «Wirst du mir das mit Anderson bis in alle Ewigkeit vorwerfen?», fragt Rory.
    «Nein. Bis in alle Ewigkeit nicht.»
    «Dann hast du dich wirklich geändert», sagt sie, und wir müssen beide müde lächeln.
    Hinter uns holt meine Mutter hörbar Luft.
    «Ich glaube, ich muss endlich ehrlich zu euch beiden sein. Euer Vater kam tatsächlich zu deinem Schulabschluss zurück, Nell. Das war nicht nur ein Gerücht.»
    «Was?» , fragen wir wie aus einem Mund und drehen uns zu ihr um.
    Sie blickt zu Boden. «Er hat eines Tages an die Tür geklopft und wollte auf einen Kaffee reinkommen. Du warst Tennis spielen.» Sie deutet mit dem Kinn auf mich. «Und wo du warst, Rory, weiß ich nicht mehr.» Seufzend streicht sie sich durch die Haare. «Ich habe ihn nicht reingelassen. Ich sagte – und das weiß ich noch wie heute–: Verschwinde aus diesem Haus, verschwinde von meinem Grund und Boden und versuch ja nie wieder, mit uns in Kontakt zu treten .» Sie
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