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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag
Autoren: Allison Winn Scotch
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Auffahrt einbiegen. Ich knalle die Autotür zu, Wes genauso – Bamm! Bamm!  –, und das metallene Geräusch durchschneidet die stille Landluft wie Pistolenschüsse.
    Als sie uns sieht, will sie aufstehen, wie um uns zu Hause willkommen zu heißen, aber dann überlegt sie es sich anders und lässt sich zurück auf die Bank sinken. Jemand muss sie nach dem Handgemenge zwischen Peter und Anderson wieder aufgestellt haben.
    Als ich näher komme, sehe ich, wie aufgedunsen ihre geröteten Augen sind. Die Haut rundherum fältelt sich wie Blumenkohl. Schuldbewusstsein liegt in ihrem Blick. Sie macht den Mund auf, um etwas zu sagen, aber meine Hand ist blitzschnell oben – nicht!  –, weil ich nicht einmal eine Sekunde lang noch eine weitere Entschuldigung von ihr hören will.
    Wes drückt mir kurz die Schulter und verschwindet im Haus. Ich bleibe mitten auf der Treppe stehen, recke das Kinn vor und frage mich, ob Worte wirklich ausreichen, um die Trümmer dieses Atomschlags zu beseitigen, um zu sagen, was gesagt werden muss. Was bleibt, nachdem sie ein Leben lang das Gewicht ihrer Schuld – der Schuld aller Erwachsenen – auf den Schultern trug, Schuld, die auf unsere Schultern übergeht, überhaupt noch übrig, womit sich tatsächlich Heilung erwirken ließe?
    Sie räuspert sich. «Ehe du etwas sagst, ich habe Peter nach Hause geschickt. Rory hat ihn zum Flughafen gefahren.»
    «Und?» Als müsste ich ihr dankbar dafür sein, obwohl ich sie nie darum gebeten habe, ihn hier anzuschleppen oder ihre Nase in meine Angelegenheiten zu stecken. Doch dann erinnert mich eine weise Stimme daran, dass ich Letzteres tatsächlich getan habe. Damals, im Krankenhaus, als ich nicht wusste, auf wen ich mich stützen sollte, habe ich mich auf sie gestützt und sie tatsächlich darum gebeten. Vielleicht sind die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß ja doch etwas unscharf, die Grenzen zwischen Freund und Feind, zwischen Instinkt und Selbsterhaltungstrieb. Zwischen meinem neuen Ich und dem alten. Und auch zwischen der Verantwortung für mich selbst, für sie und meine Liebsten.
    «Und es tut mir leid», schluchzt sie wie ein kleines Kind.
    «Was genau?» Ich überlege, ob ich mich neben sie setzen soll, aber so viel Nähe wirkt wie ein Zugeständnis.
    Sie kaut nachdenklich an ihrer Oberlippe, und einen Augenblick lang habe ich Angst, dass sie wieder in ihr altes, verflüssigtes, spirituelles Guru-Ich zurückverfällt. Ich sehe ihr an, wie sie mit sich ringt, ob sie die alte Maske wieder aufsetzen soll, weil sie damit nie ihr wahres Ich zeigen musste. Die Frau, die trotz meiner dunkelblauen Blutergüsse bei ihm blieb. Doch dann überrascht sie mich.
    «Hör zu», sagt sie mit so kehliger Stimme, dass ich sie kaum wiedererkenne. «Ich habe es vermasselt. Ich habe es von der ersten Minute an vermasselt, als dein Vater Heather kennenlernte, und ich habe bis heute nichts daraus gelernt.»
    «Und das merkst du erst jetzt? Obwohl so viel passiert ist?»
    Sie schüttelt den Kopf und starrt die weiß gestrichenen Dielenbretter an. «Nein. Nein! Ich habe es schon ganz am Anfang gemerkt. Aber ich hatte keine Ahnung, was ich tun soll. Ich wusste es einfach nicht. Er war doch alles, was ich hatte, damals, als die beiden sich auf irgendeiner Künstlerparty trafen. Ich war nur … ich habe es erst einige Jahre später herausgefunden. Er hat mir immer erzählt, er wäre in seinem Atelier in Vermont.» Sie verliert sich in Gedanken, dann kehrt sie zurück. «Ich war damals völlig verzweifelt. Du warst schon auf der Welt, ich habe nicht gearbeitet, und unser ganzes Leben hat sich nur um deinen Vater gedreht. Als ich herausfand, dass er andere Frauen vögelte, na ja, was hätte ich denn machen sollen?»
    «Was du hättest machen sollen? Stellst du mir ernsthaft diese Frage?» Nach allem, was geschehen ist, fragt sie mich ausgerechnet das?
    «Na klar, ihr seid ja heute alle wahnsinnig selbstbewusst, von wegen Freiheit der Frau und so, aber damals war das noch nicht so. Außerdem hat er mir versprochen, dass er nicht gehen würde. Ich meine, uns nicht verlassen würde. Bis auf je ein paar Wochen im Sommer, denn es gab ja schließlich Wes. Manchmal hat er dich mitgenommen, und du schienst glücklich dort zu sein. Auch wenn er schlimme Momente hatte.»
    «Eindeutig eine Untertreibung.» Ich umfasse instinktiv meine Oberarme, und sie weiß genau, wovon ich spreche. Tränen treten ihr in die Augen.
    «Ich bin hergekommen, so schnell ich konnte», schluchzt sie.
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