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Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben

Titel: Ein seltsamer Ort zum Sterben
Autoren: Derek B. Miller
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schließlich – in der Stunde der Wahrheit – in Gesellschaft einer Horde australischer Hinterwäldler wiederzufinden, die sich weigerten, ihm eines ihrer Rettungsboote zu leihen, mit dem er an Land übersetzen und Leute erschießen wollte, wie es seine Aufgabe war.
    «Sorry, Mate. Brauchen wir vielleicht. Haben nur vier. Kleines Schiff, große Kanonen und überall Kugeln in der Luft. Verstehst du doch, oder?»
    Also beschloss er, es sich ohne Erlaubnis von seinen Gastgebern zu borgen – er weigerte sich, das Wort «stehlen» zu benutzen. Er musste zugeben, dass sie ja irgendwo recht hatten, während eines heftigen Angriffs ihre Notausrüstung behalten zu wollen, aber manchmal haben Menschen ganz unterschiedliche Bedürfnisse, und da muss man eben eine klare Entscheidung treffen.
    Donny Horowitz war damals vierundzwanzig. Er war bei klarem Verstand, hatte eine ruhige Hand und war als Jude in seiner Soldatenehre enorm leicht zu verletzen. Die Armee musste ihm nur die richtige Rolle zuweisen und ihn mit der richtigen Aufgabe betrauen. Die Rolle war Scharfschütze. Die Aufgabe war Incheon.
    Incheon war eine taktische Herausforderung. Seit etwa anderthalb Monaten hatten sich die Nordkoreaner am Busan-Perimeter abgearbeitet, und Douglas MacArthur entschied nun, dass es Zeit wäre, sie durch die Einnahme der westlichen Hafenstadt Incheon an der seitlichen Flanke anzugreifen. Doch die Strände von Incheon waren ungeeignet und die Uferbereiche so seicht, dass eine Invasion nur bei Flut möglich war.
    Das Bombardement durch die Schiffe hatte zwei Tage angedauert und Incheons Verteidigung geschwächt. Es gab keinen Mann hier, dem nicht das Stichwort D-Day eingefallen wäre. Keinen Mann, der nicht an das dachte, was in der Normandie am Omaha Beach passiert war, als die amerikanischen Bomber ihr Ziel verfehlten und die Panzer bei der Landung im Meer versanken und den Amerikanern keinen Schutz am Strand bieten konnten: keine Deckung, keine Feuerkraft, keine Bombentrichter, die sich als Schützengräben benutzen ließen.
    Donny wollte verdammt sein, wenn er bei dieser Invasion hier nicht ganz vorne mitmischte.
    An jenem Morgen, während das Dritte und Fünfte Marineregiment mit Panzerladungsschiffen – kurz LST – Green Beach ansteuerten, um M 26 -Pershing-Tanks an Land abzusetzen, ließ Donny inmitten des Rauchs und Artilleriefeuers und der wild im Getöse umherfliegenden Vögel das Rettungsboot seitlich an der
Bataan
zu Wasser, kletterte mit seinem Gewehr hinein und ruderte, das Gesicht der Landseite zugewandt, auf das Artilleriefeuer zu.
    Am Red Beach verteidigten die Nordkoreaner eine hohe Ufermauer, welche die Südkoreaner mit Leitern zu stürmen versuchten. Oben auf der Mauer stand eine Reihe Scharfschützen und versuchte, die Amerikaner, Südkoreaner und alles, was unter UN -Flagge kämpfte, abzuräumen. Geschosse zischten über ihre Köpfe hinweg. Die Koreaner feuerten die grünen Leuchtspurgeschosse ihrer chinesischen Verbündeten ab, die sich mit den roten der Alliierten kreuzten.
    Sie fingen an, auf Donny zu schießen. Die Kugeln kamen erst langsam näher und zischten dann an ihm vorbei, durchfrästen Gischt aufpeitschend die Wasseroberfläche oder durchlöcherten das Ruderboot.
    Sheldon fragte sich oft, was die Koreaner, diese abergläubische Bande, wohl dachten, als sie einen einzelnen Soldaten sahen, der aufs Wasser starrte, vom Rot, Grün, Orange und Gelb des Gefechts beleuchtet, das sich auf dem Wasser und in den Morgenwolken reflektierte. Ein kleiner blauäugiger Teufel, der immun gegen ihre Verteidigungskünste war.
    Donnys Boot wurde von einer Salve erwischt. Vier Kugeln durchschlugen den Bug. Wasser drang ein und umspülte seine Stiefel. Die Marines hatten bereits den Strand erreicht und näherten sich der Ufermauer. Grüne Leuchtspurgeschosse zischten mitten in sein Regiment.
    So dicht am Ziel angekommen, beschloss Sheldon, der ein schlechter Schwimmer war, keine vierhundert Meter vom Ufer entfernt und mit den Füßen im nassen Grab stehend, seine Munition einzusetzen,
verdammt noch mal
, bevor er zusammen mit ihr unterging.
    Er hatte so weiche Hände für einen Jungen. Er war nur eins siebzig groß und hatte nie harte körperliche Arbeit verrichten oder schwere Gegenstände tragen müssen. Er zählte im Schusterladen seines Vaters die Zahlenreihen zusammen und träumte davon, einen Ball für die Red Sox weit ins linke Feld und über das Green Monster zu schlagen. Als er zum ersten Mal die Unterseite von
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