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Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000
Autoren: Edward Bellamy
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verfolgten. Ich trat in einen Laden und beobachtete den ersten Angestellten, der mit dem Scharfblick eines Falken das Geschäft überwachte, die Verkäufer beaufsichtigte und sie zu ihrer Pflicht anhielt, die Leute zu veranlassen, zu kaufen, zu kaufen und nochmals zu kaufen. Zu kaufen für Geld, wenn sie solches hatten, auf Kredit, wenn sie keins hatten; zu kaufen, was sie nicht brauchten, mehr als sie brauchten und über ihre Mittel hinaus. Dann und wann verlor ich den Faden des Getriebs um mich und wurde durch den Anblick ganz verwirrt.
    Wozu all das Bemühen, die Leute zum Kaufen zu bewegen? Es hatte doch sicher gar nichts mit der notwendigen Verrichtung zu tun, die Waren denen zu vermitteln, die ihrer bedurften. Es war offenbar die reinste Verschwendung, Leuten aufzudrängen, was sie nicht brauchten, was aber vielleicht anderen von Nutzen gewesen wäre, Die Nation wurde durch jeden Erfolg ärmer, den Leuten überflüssige Dinge aufzuschwatzen. Was dachten alle diese Kaufleute eigentlich von ihrem Berufe? Und während ich mir im Geiste die se Frage stellte, fiel mir erst ein, daß sie bei ihrer Tätigkeit von ganz anderen Gesichtspunkten geleitet wurden als die Beamten der Nation in dem Warenlager, das ich in dem Boston meines Traumes besucht hatte. Sie vermittelten die Waren nicht, um dem öffentlichen Wohle zu dienen, sondern um ihren eigenen persönlichen Vorteil zu finden; es war ihnen ganz gleichgültig, ob ihr Tun und Treiben dem Gesamtwohlstand schadete oder nützte, wenn sie dadurch nur ihr eigenes Vermögen vergrößerten. Warum das alles? Weil die Waren das Eigentum der Kaufleute waren, und weil der Gewinn der ’Kaufleute um so größer wurde, je mehr sie verkauften und je höhere Preise sie erzielten. Je verschwenderischer das Publikum war, je mehr es sich aufnötigen ließ, was es gar nicht brauchte, um so besser war es für die Händler und Kaufleute. Es war der ausdrückliche Zweck der zehntausend Läden Bostons, der Verschwendung Vorschub zu leisten, sie künstlich zu züchten.
    Übrigens waren Kaufleute und Handlungsgehilfen nicht um ein Haar schlechter als die anderen Bewohner Bostons. Sie mußten ihren Lebensunterhalt erwerben und ihre Familie ernähren, und wie wäre es ihnen möglich gewesen, einen Beruf ausfindig zu machen, der sie nicht unvermeidlich gezwungen hätte, ihre eigenen Interessen dem Interesse anderer und dem der Allgemeinheit voranzustellen? Man konnte ihnen doch nicht zumuten, gottergeben zu verhungern, während sie auf eine Ordnung der Dinge harrten, wie ich sie in meinem Traume geschaut hatte, eine Ordnung der Dinge, bei der das Interesse des einzelnen mit dem Interesse aller eins war. Aber beim Himmel, war es bei der herrschenden Wirtschaftsordnung verwunderlich, daß die Stadt so armselig aussah, daß die Leute so schlecht gekleidet, daß viele von ihnen zerlumpt und hungrig umhergingen?
    Ich setzte meinen Streifzug fort und gelangte bald in den südlichen Teil von Boston; rings um mich ragten Fabriken empor. Wie in der Washingtonstraße, so war ich auch in diesem Stadtteil wohl schon hundertmal gewesen, aber hier wie dort gingen mir erst jetzt die Augen über die wahre Bedeutung dessen auf, was ich um mich sah. Früher hatte es mich mit Stolz erfüllt, daß nach einer kürzlichen Berechnung Boston gegen viertausend voneinander unabhängige Fabrikbetriebe besaß. Jetzt dagegen fand ich gerade in dieser ihrer großen Zahl und ihrer Unabhängigkeit voneinander den Schlüssel zu dem Geheimnis, warum der Gesamtertrag ihrer Produktion so unbedeutend blieb.
    Hatte die Washingtonstraße mit ihrem Leben und Treiben in meinen Augen einem Weg durch eine Irrenanstalt geglichen, so machte das Schauspiel in Süd-Boston einen noch niederdrückenderen Eindruck auf mich. Da die Warenproduktion eine bei weitem wichtigere Funktion des sozialen Organismus ist als die Warenverteilung, so erschienen mir die bei ihr beobachteten Verkehrtheiten auch um so verhängnisvoller und beklagenswerter. Natürlich produzierten die viertausend Fabriken nicht zusammen auf Grund einer getroffenen Verständigung, eines einheitlichen Planes, ein Umstand, der allein schon ganz ungeheuren Schaden nach sich ziehen mußte. Und als wenn die daraus folgende Vergeudung an Kraft nicht schlimm genug gewesen wäre, boten die Besitzer der einzelnen Industriebetriebe alles auf, was in ihrer Macht stand, um einander den Erfolg ihrer Anstrengungen zu vereiteln. Sie beteten des Nachts darum und arbeiteten am Tage darauf hin,
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