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Ein reiner Schrei (German Edition)

Ein reiner Schrei (German Edition)

Titel: Ein reiner Schrei (German Edition)
Autoren: Siobhan Dowd
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Dir. Aber das Bier da ist gut. Gerade ist ein Mann mit einem angeleinten Frettchen reingekommen, echt, ich bin nicht besoffen. Die Mädchen sind völlig durchgeknallt. Sie trinken einen Singapore Sling nach dem anderen, haben schon zehn intus und wollen immer noch mehr! Gestern war ich oben auf dem Empire State Building und wär fast runtergefallen. Die gelben Taxis drückten sich unterhalb der Wolken am Boden rum wie winzige Abakusperlen. Davon ist mir ganz schwindelig geworden. Aber nicht so schwindelig wie von Dir, Shell. Ich denk immer noch dran.
    Liebe Grüße von Du-weißt-schon-wem
    Sie sah ihn vor sich, über sein dunkles Bier gebeugt. Die Dollars, die ihm aus den Hosentaschen flogen. Die lauernden Straßendiebe. Das Geklirr der Gläser. Die Mädchen, deren Augen in die Welt hinausklimperten. Zigarettenstummel überall. Der Mann, der seinem Frettchen mit Pfiffen das Zeichen gab, durch einen Reifen zu springen. Die Häuser, die nach vorne und nach hinten kippten. Die blinkenden Taxis. Und dann er, mit dem Baustellenstaub im Haar und dem typischen Coolbar-Gesicht. Wie er seine Karte schrieb, dem Mädchen mit den Sterne-und-Streifen-Augen, das ihm gegenübersaß, keine Beachtung schenkte, sondern seinen Kugelschreiber von Osten nach Westen bewegte, so selbstverständlich, wie ein Flugzeug nach Hause flog oder ein Brot im Ofen aufging. Shell stinkt wie ein kleiner Köter, der im Matsch gelegen hat … Und sie dachte an die Spur der Verwüstung, die er hinterlassen hatte.
    Sie schaltete das Heizelement an und hielt die Karte an den glühenden Draht. Das Papier erschlaffte und ging in Flammen auf. Sie legte es auf die Fliesen und sah zu, wie das Rotkehlchen, die Taxis und die Singapore Slings verbrannten. Declan Ronan, der Mann, der immer auf seinen Vorteil bedacht war. Würde sie ihn in diesem sterblichen Leben je wiedersehen?
    Winke, winke, Shell. Tschau-tschau, Declan. Spielte es überhaupt eine Rolle?
    Sie warf die Überreste in den Mülleimer und staubte das Klavier und die Fensterbänke ab. Dann bezog sie alle Betten mit frischer Bettwäsche.

Zweiundfünfzig
    Nachdem die Zimmer gelüftet waren und Shell überall Staub gewischt hatte, holte sie Jimmy und Trix von der Schule ab.
    »Warum kann er denn nicht im Gefängnis bleiben?«, maulte Jimmy, als sie hereinkamen.
    »Ich will bei den Duggans bleiben«, murrte Trix. »Und fernsehen.«
    »Seid still, ihr zwei«, sagte Shell. »Ich kauf euch Süßigkeiten, aber hört endlich auf.«
    Sie schickte sie auf den Acker hinaus, zum Spielen.
    Sie putzte die schmutzigen Fenster.
    Sie backte ein Blech Scones.
    Draußen fuhr ein Wagen vor, viel zu früh. Shell erstarrte.
    Mr Duggan sollte Dad von Castlerock nach Hause fahren, unter der strengen Auflage, den Verlockungen des Pubs auszuweichen. Werden seine Hände immer noch zittern? Wird er das Klavier öffnen und mich schlagen, wenn er sieht, dass der Whiskey verschwunden ist? Wird er brüllen, wenn mir bei den Spiegeleiern das Eigelb ausläuft? Mit mehligen Händen und zusammengekniffener Miene blickte sie aus dem Fenster. Aber es war nicht Dad. Ein vertrautes Violett näherte sich: Pater Rose und Isebel.
    Er kam mit einem leichten »Halloo, bist du da?« zur Tür herein und lächelte auf seine unverwechselbare Art. Sie ließ ihn im Sessel Platz nehmen und wusch sich die Hände. »Kann ich Ihnen etwas anbieten, Pater?«
    »Ich kann nicht lange bleiben«, sagte er. Er setzte sich auf den Klavierhocker, den Tasten den Rücken zugewandt. Seine Jacke stand offen, so dass darunter ein Pullover mit Polokragen zu sehen war, der den steifen Kragen seines Priestergewandes verdeckte. Ohne das kleine weiße Rechteck wirkte er ganz verändert, wie ein eher sorgloser Mann, der auf derselben Erde wandelte wie jeder andere. Sie begann eine Unterhaltung, doch die Worte verirrten sich in Sackgassen. Pater Rose saß da und starrte vor sich hin, ein wenig wie Dad es früher immer getan hatte.
    »Ich gehe fort, Shell«, sagte er schließlich. »Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden.«
    »Verabschieden?«
    »Ich werde abberufen.«
    »Was bedeutet das?«
    »Die Kirche schickt mich weg.«
    »Schickt man Sie in eine andere Gemeinde? Jetzt schon?«
    Er schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Wohin denn dann? Ins Ausland?« Sie stellte sich vor, wie er mitten in Afrika unter den Armen umherging und kranke Kinder aufhob, um sie der Gnade Gottes zu empfehlen.
    »In die Grafschaft Offaly.«
    »Offaly?«
    »Ja, Shell. Dort gibt es ein Haus für
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