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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch
Autoren: Kurt Tucholsky
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verblühende Kokotte, halb englische
Gouvernante», wie Erich Klossowski sie charakterisiert hat. Es ist da in ihr
ein Stück Mann, das sich über die Frauen lustig macht, selber eine ist,
durchaus — und ganz tief im Urgrund schlummert ein totes, kleines Mädchen.
Dieser Mund durfte alles sagen. Und er hat alles gesagt.
    Und auf jedem zweiten Blatt
immer wieder das Theater — das Theater, das Toulouse-Lautrec mit Haßliebe
verfolgt hat, ausgezogen, wieder angezogen, abgeschminkt, geküßt, geschminkt
und verhöhnt hat. Weiche Mimen legen vor einem Spiegel Rouge auf, ist das eine
lächerliche Profession, sich abends, wenn die Lampen brennen, in schmutzigen
kleinen Ställen Butter ins Gesicht zu schmieren! Da liegt eine Palette, dort
ein Lithographiestein mit dem Bart Tristan Bernards. Spitze Schreie steigen von
diesen Blättern auf, Brunst, Inbrunst, Ekel, Genuß am Ekel, in der vollendeten
Verkommenheit liegt der Ton auf vollendet.
    Ein weher Mund sieht dich an,
sah ihn an — alles andere in diesem Frauengesicht ist dann dazugeworfen, wegen
dieser Lippen ist er gezeichnet. Zarte Pastellkartons: ein weißes Jabot ist so
auf Grau gesetzt, daß man den hauchdünnen Stoff abheben kann, und alle
ernsthaften Bilder zeigen, was dieser Mann an technischem Können, an Fleiß, an
Gewissenhaftigkeit des Handwerks in sich gehabt hat. Den Ungarn, die ihm heute
in Paris frech nachschmieren, sollte man ihre Blätter um die Ohren wischen — es
genügt eben nicht, in ein ‹Haus› zu gehen und grinsend zu kolportieren. Ah,
davon ist hier nichts.
    Tierstudien sind da, von einer
Einfühlung in die Form, Porträts, kleine Landschaften... und immer wieder
Pferde, deren Bewegung er so geliebt hat. Dazwischen alte Kanaillen, mit
halbentblößter Brust; wie haargenau sind die Quantitäten von Verfall, gesundem
Menschenverstand, ja selbst von so etwas wie anständigem Herzen
ausbalanciert...! Eine hat etwas Mütterliches. Und ein ganzer Salon ist da, der
große Empfangssalon im Parterre, da sitzen die Damen, bevor sie nach oben
steigen. Ein Salon —? Es ist der Salon. Die Totenmarie und die Stupsnase und
das dicke, hübsche Mädchen, und die Gleichgültige und die, die ewig nackt
umherläuft... Und das Schönste von allem: ‹Etude de Femme 1893›. Ein
junges Ding läßt frierend das Hemd gleiten, eine Brust sticht gespitzt in die
Luft. Ein herbstlicher Frühling.
    Drum herum Gemälde. Zweimal:
seine Mutter. Porträts des Malers, Porträts anderer: ein bärtiges Gesicht mit
Kneifer und aufgeworfenen Lippen. Einmal eine Verspottung seines verwachsenen
Körpers.
    Er ist in Albi geboren und
gestorben. Wo?
    Die Straße heißt heute rue de
Toulouse-Lautrec, es ist das Haus Nummer 14. Außen eine glatte Front, eine hohe
verschlossene Tür. Sein Vetter, der Doktor Tapie de Celeyran, empfängt mich.
    Es ist ein älterer Herr mit
schwarzem Käppchen auf dem Kopf: er führt mich ins Allerheiligste. Da liegt in
Kästen das Oeuvre Lautrecs: die Lithographien, die Originale und viel
Unveröffentlichtes. Und er zeigt mir eine Geschichte, die der Knabe illustriert
hat — seltsam gemahnen die angetuschten Federzeichnungen an Kubin. Er hat so
viel gearbeitet... Und ich bekomme zu hören, daß die Familie und der
Hauptverwalter des Nachlasses, Herr Maurice Joyant in Paris, der an einem
großen Werk über den Maler arbeitet, seine Einschätzung durch das Publikum
nicht lieben. «Er ist nicht nur der Zeichner der Dirnen gewesen, des Zirkus,
des Theaters —! Er hat so viel andres gekonnt!» Zugegeben, daß sich ein Teil
seiner Bewunderer stofflich interessieren. Aber hier liegt das Einmalige des
Mannes, der bittere Schrei in der Lust, der hohe, pfeifende Ton, der da
herausspritzt... Daß dahinter eine Welt an Könnerschaft lag, wer möchte das
leugnen —! Und daß Toulouse-Lautrec kein wollüstig herumtaumelnder Zwerg war,
oder ob er es war... gebt volles Maß! Und wir scheiden mit einem Händedruck.
    Nachmittags bekomme ich im
Museum zu sehen, was nicht ausgestellt ist: Entwürfe über Entwürfe,
hingehuschte Skizzen, Angefangenes, Wiederverworfenes und Schulhefte, in denen
die lateinischen und griechischen Exerzitien ummalt sind von Girlanden und
Figuren. Da ist die Feder träumerisch übers Papier geglitten, weit, weit weg
von Cicero und hat Pferde im Sprung aufgefangen, Füchse... die Männerchen, die
der hier gemalt hat, sind schon kleine Menschen.
    Und als der freundliche
Konservator alles wieder zusammengepackt hat, gehe ich noch einmal in die
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