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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch
Autoren: Kurt Tucholsky
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geboren, ein Ei: Sehnsucht nach den Pyrenäen.
     
     

Einer aus Albi
     
    Zugabe. Über Toulouse muß
gefahren werden — da kann der kleine Abstecher nur Freude machen. Um so mehr
als Toulouse Um drei Karat häßlicher ist als Lyon. Reste schöner Architektur
stehen museal dazwischen. Unglücklicherweise ist es auch noch Sonntag, und auf
den Straßen spazieren: achthundert Francs Monatsgehalt und neuer Sonntagsanzug;
kalte Verlobung mit Wohnungseinrichtung; achtundvierzig Jahre Buchführung mit
kleiner Pension und eigener Zusatzrente — die Leute wissen nicht recht, was sie
mit ihrem freien Nachmittag anfangen sollen, sie gehen so umher: kurz, eine
Stadt, wie Valéry Larbaud formuliert, où l’on sent l’après-midi une
désespérante odeur d’excrément refroidi. Also: Albi.
    Als ich abends ankomme, liegt
der Ort grade in tiefem Dunkel, nur am Gefängnis brennt einladend eine kleine
Laterne. Es muß doch nicht leicht sein, ein Elektrizitätswerk zu leiten. Im
Hotel brennt eine Kerze auf einem Tisch. Ich trete in die Tür, strahlendes
Licht flammt auf — kein schlechter Auftritt. Im Speisesaal tagt noch eine
schöne Table-d’hôte, dieser Kotillon der Mahlzeiten. Alle Provinzherren stopfen
sich die Serviette in den Hals und werden nun hoffentlich gleich rasiert.
    Am nächsten Morgen gehe ich
langsam durch die gewundenen Straßen, an den Häusern de Guise und Enjalbert
vorüber, zwei Renaissancebauten mit herrlichen Portalen.
    Da steht die Kathedrale.
    Ich bin kein weitgereister Mann
und kann nicht nachlässig hinwerfen: «Das Haus des Dalai-Lama in Tibet erinnert
mich an der Nordseite an die Peterskirche in Rom...» Diese Kathedrale in Albi
hat mich an gar nichts erinnert — doch: an eins. An Gott. Ihr Anblick schlägt
jeden Unglauben für die Zeit der Betrachtung knock-out.
    Wie ein tiefer Orgelton braust
sie empor. Sie ist rot — die ganze Kirche ist aus rosa Ziegeln gebaut, und sie
ist eine wehrhafte Kirche mit dicken Mauern und Türmen, ein Fort der
Metaphysik. Hier ist der Herrgott Seigneur in des Wortes wahrster Bedeutung.
Ihr Bau wurde im dreizehnten Jahrhundert begonnen, ihr Stil ist so etwas wie
eine Gotik aus Toulouse. Der riesige Turm verjüngt sich nach oben, seine
Fenster werden immer kleiner und täuschen eine Höhe vor, die in Wirklichkeit
gar nicht da ist. Ach was... Wirklichkeit! Diese Kathedrale ist nicht wirklich.
Sie ist, im Gegensatz zu den Ereignissen in Lourdes, ein wahres Wunder.
    Und rosa schimmern die
Bischofsgebäude, die danebenstehen, der Himmel nimmt eine rosa Färbung an —
    Innen ist die Kathedrale nicht
so schön, es gibt zwar gute Einzelheiten, aber es ist eben eine hohe Kirche,
deren Raum man leider aufgeteilt hat. Ich trete wieder hinaus und gehe
zwergenhaft von allen Seiten an dieses Monstrum heran. Es ist zum Erstarren.
    Die Gärten des erzbischöflichen
Schlosses liegen im Herbstlaub, mit rosa Ziegel als Fond. Von drüben schimmert
der Fluß, le Tarn, ich sauge das alles in mich auf.
    Im erzbischöflichen Schloß ist
ein Museum, eine Bilderausstellung; ach, wer wird denn das jetzt sehn wollen!
Aber da fällt mein Blick auf ein kleines Ausstellungsplakat... Ich muß mich
wohl verlesen haben. Nein. «La Galerie de Toulouse-Lautrec.»
    Toulouse-Lautrec? Hier? Im
Bischofsschloß? Hier im Bischofsschloß. Und da stak ich nun den ganzen Tag.
    In Albi ist Toulouse-Lautrec
geboren, in Albi ist er gestorben (1901). Und ihm zu Ehren haben sie diese
Ausstellung in drei Sälen zusammengebracht. Da hängen:
    Die großen Plakate mit Aristide
Bruant, das rote Tuch verachtungsvoll-königlich um den Hals; La Goulue, die die
Beine wirft, daß man ihr in eine Wäscheausstellung sehen kann; ein altes
Schwein, das sich über ein junges Gemüse beugt; die harten Fressen strahlend
blonder Luder; der Urgroßvater des Jazz: Cake-walk in einer Bar; ein
Kostümball, auf dem Börsenmakler als Marquis Posas mit Pincenez zahlend
amüsiert schwitzen; ein kalkiger Jüngling auf grauem Karton, ein schlaffer,
käsiger Mensch, sein ganzes Leben ist auf den paar Quadratzentimetern
aufgezeichnet — und Yvette.
    ‹Yvette Guilbert,
saluant le public›. Ich bin kein
Bilderdieb — außerdem ist das Bild zu groß gewesen. Sie stand da, den
Oberkörper etwas vorgebeugt, und stützte sich mit einer Hand am
zusammengerafften Vorhang. Die langen schwarzen Handschuhe laufen in
Spinnenbeine aus. Sie lächelt. Ihr Lächeln sagt: «Schweine. Ich auch. Aber die
Welt ist ganz komisch, wie?» Durchaus «halb
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